DGB 07 - Legion
Es
kam ihm vor, als habe er sich nur noch weiter von Kurnaul entfernt. Ihn
beschlich das Gefühl, dass er durch irgendetwas abgelenkt wurde, das seine
Fähigkeiten verwirrte.
Spontan fasste er in den Beutel
mit Mineralsalz an seinem breiten Obergürtel und legte die Finger um die im
Salz verborgene Memesaat. Diese Saat hatte in etwa die Größe einer Ohrmuschel
und war in eine kleine silberne Schnalle eingearbeitet. Gahet hatte sie ihm
mitgegeben. Es handelte sich um die Saat eines Baums von irgendeiner fremden
Welt, irgendwo im Einzugsgebiet der Kabale, die psionisch sensibel war. Wenn
sie warm wurde oder in irgendeiner Form ausdörrte, war das ein Zeichen für
psionische Aktivitäten ganz in ihrer Nähe.
Grammaticus betrachtete die
Memesaat. Ein wenig warm und trocken war sie stets, da sie schon auf seine
eigene Begabung reagierte. Doch in seiner Hand fühlte sie sich jetzt heiß an
wie glühende Kohle, außerdem war sie in ihrer Einfassung zusammengeschrumpft.
Er steckte in Schwierigkeiten,
denn die Memesaat schrie eine Warnung heraus, dass sich jemand in seiner Nähe
aufhielt, der möglicherweise sogar Jagd auf ihn machte.
»D'sal? D'sal Huulta?«
Er schaute über die Schulter und
entdeckte einen stämmigen Kaufmann, der ihm zuwinkte. Der Mann hatte mit
anderen in eine Unterhaltung vertieft auf den Stufen eines Kontors gestanden,
doch jetzt kam er zu ihm gelaufen. Rasch steckte Grammaticus die Memesaat
zurück in den Salzbeutel.
Wie heißt er? Wie lautet sein
Name? Du bist ihm schon einmal begegnet.
»D'sal, mein guter Freund«,
sprach der Kaufmann ihn an, beschrieb die Alles-Sonnenlicht-Geste und ließ eine
Verbeugung folgen. »In den letzten Tagen habe ich dich auf dem Markt vermisst. Was
gibt es Neues von der Abmachung wegen der Ofenziegel, die wir uns bei unserem
letzten Treffen überlegt haben? Hat dein Anbieter geliefert?«
H'dek. H'dek Rootun. So heißt
er.
»H'dek, mein guter Freund. Es
schmerzt mich, dir antworten zu müssen, dass sich mein Anbieter als Großmaul
entpuppt hat«, gab Grammaticus höflich zurück. »Er verspricht mehr, als er
halten kann. Wie sich herausgestellt hat, kommt der Handel nicht zustande. Ich entschuldige
mich dafür.«
H'dek fuchtelte mit seiner
pummeligen Hand. »Ach, mach dir deshalb keine Gedanken! Ich kann das verstehen.
In diesen Zeiten der Entbehrung und Unterdrückung, dazu die Belagerung durch
diese Fremden vor unserer Haustür, da kommen solche Dinge vor.« Dann sah er
Grammaticus ernster und eindringlicher an.
»Du hast meinen Fetisch? Meinen
Gen-Abdruck? Ja? Gut, dann können wir künftig handeln. Ich freue mich schon darauf,
deinen Boten zu empfangen.«
»Ich bin stets dein Diener,
H'dek«, murmelte Grammaticus, beschrieb die Alles-Sonnenlicht-Geste und fügte
die Alle-Monde-Geste an, als er das Treffen beendete.
Von einem unbehaglichen Gefühl
begleitet und so desorientiert wie zuvor, ging er weiter die Straße entlang.
Dann suchte er einen weitläufigen Platz auf, wo nicht so viel Gedränge
herrschte, da er hoffte, mit etwas mehr Freiraum um sich herum wieder einen
klaren Kopf zu bekommen. Und vielleicht würde es ihm dort auch gelingen, die
Quelle jener psionischen Aktivität ausfindig zu machen, auf die die Saat
aufmerksam geworden war. Aber es wollte sich nach wie vor keine Klarheit
einstellen.
Grammaticus blieb stehen und
hob langsam den Kopf.
Er stand auf dem Pa’khel Awan Nurth, dem Platz des vorherrschenden Tempels in Mon Lo. Hoch oben am
Giebel des Tempels zeigte ein Fries die vier Eigenschaften des Urtümlichen
Zerstörers: Tod, Ekstase, Sterblichkeit und Unbeständigkeit, die alle zu einem riesigen,
erschreckenden Symbol der Einheit ver-schmolzen.
Welche Fehlentscheidung hatte
ihn dazu gebracht, ausgerechnet diesen Weg einzuschlagen? Dies hier war der
letzte Ort in der ganzen Stadt, den er freiwillig hätte aufsuchen wollen.
Das Symbol am Giebel schien zu
pulsieren, es drückte seine Augäpfel tief in die Augenhöhlen. Sonnenlicht
flammte auf und surrte. Er begann zu würgen und zwang sich, die aufsteigende
Magensäure wieder zu schlucken. Sein letzter Besuch in der Stadt war völlig
anders verlaufen. Jetzt war es, als sei die Stadt auf ihn und seine Rolle als
Eindringling aufmerksam geworden, als hätte sie sich zu einem Spinnennetz
entwickelt, das gesponnen worden war, um ihn in eine Falle zu locken.
Irgendjemand ... irgendetwas spielte mit ihm.
Die Magensäure wollte sich
nicht unterdrücken lassen, und so rannte er in eine Gasse,
Weitere Kostenlose Bücher