DGB 11 - Blut Der Abtrünnigen
ich
entdeckte Havuleq, der tot auf dem Schlachtfeld lag. Die untere Körperhälfte
war wie mit einem Skalpell abgetrennt worden, und als ich in die Gesichter der
Überlebenden blickte, da begegnete mir von allen Seiten jenes blanke Entsetzen,
das ich selbst auch spürte. Die Leute begannen, um Gnade zu flehen, sie warfen
ihre Waffen weg und versuchten zu kapitulieren, aber die gepanzerten Krieger
blieben nicht stehen. Die gingen auf uns los und metzelten uns erbarmungslos
nieder. Wir wurden von einer solchen Welle der Gewalt überrannt, dass ich nicht
glauben wollte, dass so viele Menschen in so kurzer Zeit sterben könnten. Das
war kein Krieg mehr, jedenfalls nichts in der Art, wie ich darüber in Büchern
gelesen hatte. Das waren keine ehrbaren Krieger, die Mann gegen Mann kämpften
und glorreichen Duelle austrugen. Das war ein systematisches Abschlachten eines
Gegners. Ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich die Flucht ergriff. Ich
rannte um mein Leben, als wären die Dämonen aller Legenden der
Menschheitsgeschichte hinter mir her. Die ganze Zeit über hörte ich dabei das
entsetzlich Geräusch von sterbenden Menschen, dieses nasse Geräusch, wenn das
Fleisch aufplatzt und der Gestank der Innereien entweicht. Von meiner Flucht
ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben, nur einzelne Bilder von Leichen,
untermalt von Schmerzensschreien. Ich rannte, bis ich nicht mehr konnte, und
dann kroch ich durch den Morast, bis ich irgendwann das Bewusstsein verlor. Als
ich aufwachte, was für mich an sich schon einem Wunder gleichkam, war es
dunkel. Scheiterhaufen brannten, und ich hörte die Siegesgesänge der
Donnerkrieger, die über das Schlachtfeld trieben.«
Uriah atmete tief durch.
»Havuleqs Armee war vernichtet worden. Nicht bloß geschlagen, sondern
vernichtet, ausgelöscht. Nicht einmal eine Stunde hatten sie gebraucht, um
fünfzigtausend Männer und Frauen zu töten. Ich glaube, ich wusste da schon,
dass ich der einzige Überlebende war. Ich weinte im Mondschein, während ich
dalag und allmählich verblutete. Ich dachte darüber nach, wie sinnlos mein
Leben gewesen war. Wie viel Schmerzen ich anderen zugefügt hatte durch mein
egoistisches Streben, mich nur meinen Interessen zu widmen. Ich weinte um meine
Familie und um mich selbst, und in diesem Moment wurde mir bewusst, ich war
nicht allein.«
»Wer war bei Ihnen?«, fragte
Offenbarung
»Die Macht des Göttlichen«,
sagte er. »Ich hob den Kopf und sah über mir ein goldenes Gesicht, ein so
strahlendes und voll-kommenes Gesicht, dass ich nicht weiter vor Schmerzen
Tränen vergoss, sondern wegen dieser unglaublichen Schönheit. Licht umgab diese
Gestalt, und ich musste den Blick abwenden, weil ich fürchtete, sonst zu
erblinden. Die Schmerzen waren verschwunden, und ich wusste, ich sah das
göttliche Antlitz. Ich könnte es Ihnen nicht beschreiben, weil die poetischsten
Worte nicht genügen, um seine Schönheit auszudrücken. Es war schlichtweg das
Aller-schönste, was ich je zu Gesicht bekommen hatte. Ich fühlte, wie ich
hochgehoben wurde, und ich dachte, mein Ende sei gekommen. Aber dann sprach das
Gesicht zu mir, und ich wusste, es war meine Bestimmung zu leben.«
»Und was sagte dieses Gesicht
zu Ihnen?«, wollte Offenbarung wissen.
Uriah lächelte wieder
versonnen. »Warum verleugnest du mich?«, sagte die Gestalt. »Akzeptiere mich,
und du wirst wissen, dass ich die einzige Wahrheit und der einzige Weg bin.«
»Haben Sie etwas entgegnet?«
»Ich konnte nicht. Jedes Wort
wäre eine Beleidigung gewesen. Außerdem war meine Zunge beim Anblick Gottes
erstarrt.«
»Wieso haben Sie gedacht, dass
das Gott ist? Ich habe doch davon gesprochen, dass das Gehirn in der Lage ist, das
wahrzunehmen, was es wahrnehmen will. Sie lagen auf einem Schlachtfeld im
Sterben, umgeben von Ihren toten Kameraden, und Sie kommen zu der Erkenntnis, dass
Sie bislang ein völlig nutzloses Leben geführt haben. Da werden Sie für eine
solche Vision doch sicher eine andere Erklärung finden können, Uriah. Eine
wahrscheinlichere Erklärung, die ohne Übernatürliches auskommt.«
»Ich benötige keine andere
Erklärung«, erwiderte Uriah entschieden. »Sie mögen in vieler Hinsicht ein
kluger Mann sein, Offenbarung, aber Sie können nicht wissen, was in meinem Kopf
vorgeht. Ich habe Gott gehört und gesehen. Er versetzte mich in einen tiefen
Schlaf, und als ich wieder aufwachte, waren meine Verletzungen verheilt.«
Uriah drehte den Kopf so, dass
Offenbarung die lange Narbe am
Weitere Kostenlose Bücher