DGB 12 - Verlorene Söhne
erkunden.
Khalophis' Speederscheibe
brachte sie in weniger als einer Stunde zu den Ruinen der Stadt, was Camille
zunächst als Enttäuschung empfunden hatte, bis er ihr schließlich sagte, wie
schnell sie gereist waren und welche Entfernung sie zurückgelegt hatten. Tizca
lag weit hinter ihnen, und Camille fragte sich, warum jeder das Land jenseits von
Tizca immer noch als »Einöde« bezeichnete, wenn doch überall nur üppiges Grün
zu sehen war. Dichte Wälder gingen in weitläufige Wiesen über, die sich bis zum
Horizont erstreckten, kristallklare Flüsse ergossen sich in hohen Wasserfällen
von den Bergen.
Khalophis hatte den Speeder
sehr geschickt gelenkt, was Camille überraschte, hatte sie doch erwartet, dass
er das Gefährt grob und rücksichtlos handhaben würde. Die Geschwindigkeit, mit
der sie über dieses fruchtbare Land geflogen waren, hatte bei ihr restlose
Begeisterung ausgelöst. Hinzu kam die Freude darüber, dass es ihr erlaubt
worden war, eine der weit entfernten Städte auf Prospero zu erforschen. Besser
konnte es kaum noch kommen.
Ihr Blick fiel auf hohe Berge
aus geschwärztem Eisen und Stein, die über ihr in den Himmel ragten. Sie waren von
Grünzeug überwuchert und bewegten sich im kalten Wind leicht hin und her, der
vom anderen Ende kommend durch das Tal zog. Hunderte Stahlskelette füllten in
einem gitterförmigen System angeordnet den Eingang zum Tal. Der Boden unter
ihnen war wie verblasster Fels, der von geduldigen Wurzeln mit der Zeit
durchdrungen und aufgesprengt worden war.
Vom Morgen bis zum frühen
Nachmittag waren sie immer wieder auf Überreste von Gebäuden gestoßen, deren Innenleben
noch weitgehend erhalten war, doch im Verhältnis zu den restlos zerstörten
Bauten war das gerade mal eine Handvoll.
»Haben Sie schon irgendetwas
Interessantes entdeckt?«, fragte Khalophis nach einer Weile.
»Diese Ruinen langweilen mich.«
»Noch nicht«, sagte Camille.
»Wir sollten wieder aufbrechen.
In diesem Tal sind in letzter Zeit Psychneuein gesichtet worden.«
Lemuel hatte schon mal diese
Psychneuein erwähnt, und sie fand, dass der Name schon etwas Bösartiges an sich
hatte. Aber mit einem Krieger wie Khalophis an ihrer Seite gab es für sie
keinen Grund für allzu große Sorgen.
»Wir können noch nicht
aufbrechen«, entgegnete sie und duckte sich in die Dunkelheit eines weitgehend
intakten Gebäudes, das von Schatten und Verfall widerhallte. »Bislang ist
alles, was ich angefasst habe, maschinell hergestellt worden und deshalb ohne
Erinnerung. Das hilft mir nicht weiter. Dieses Haus ist noch in einem ganz
guten Zustand, dort könnte sich etwas finden, das mir weiterhilft.«
Das Innere des Gebäudes stank
nach Vernachlässigung und Feuchtigkeit, die Schatten boten eine Zuflucht für jene
wilden Tiere, für die die Einöde ihre Heimat war. Licht fiel durch etliche
Löcher in den Außenmauern, Staubpartikel trieben durch die Licht-strahlen, die
von schräg oben in die Räume vordrangen.
Camille atmete tief ein und
schmeckte das Alter des Gebäudes in den modrigen Gerüchen. Hier gab es
Geschichte und Geschichten zu erfahren, wenn sie nur etwas entdeckte, das
einmal einer lebenden Person gehört hatte.
»Hier lang«, sagte sie und ging
zu einer abgesackten Stahltreppe, die ins nächste Stockwerk führte.
»Das macht auf mich aber keinen
sicheren Eindruck«, befand Khalophis, als sein Blick auf das verrostete
Geländer fiel.
»Ihre Sorge um mich ist
rührend«, gab sie zurück. »Aber dieses Haus steht schon seit tausend Jahren
hier, und ich gehe davon aus, dass es mindestens den heutigen Nachmittag auch
noch überlebt. Sie etwa nicht?«
»Ich weiß nicht, ich bin kein
Ingenieur.«
Sie überlegte, ob er wohl
gescherzt hatte, gab es aber auf, da er keine Miene verzog. »Also gut«, sagte
sie, während sie sich wegdrehte. »Ich bin schon ziemlich baufällige Treppen
rauf und runter gegangen, und die hier sieht noch ganz gut aus.«
Sie legte Stufe um Stufe
zurück, wobei sie inständig hoffte, dass die Götter der Schadenfreude sie nicht
jeden Moment unter den Trümmern der Treppe begruben. Doch zum Glück passierte
nichts, wenn man davon absah, dass die Konstruktion unter Khalophis' Gewicht
bedenklich zu ächzen und knarren begann.
Die obere Etage war so leer und
verlassen wie die untere, den Boden bedeckten eine Staubschicht und Trümmer aus
den höheren Stockwerken. Die waren zum größten Teil eingestürzt, sodass das
Gebäude eher an einen riesigen Schornstein
Weitere Kostenlose Bücher