Dhalgren
die Stirn und blies noch einmal.
»Ich finde, du siehst gammelig richtig gut aus«, sagte er.
Sie spielte weiter, verschmolz die Töne fast zu einer Melodie, bis sie es sich anders überlegte, lachte oder klagte oder still war, bevor sie eine neue begann. Sie gingen weiter, und Lanya verstreute unvollständige Melodien.
An seiner Hüfte flappte das Notizbuch. (Seine andere Hand war jetzt in Stahl gerüstet.) Er schwenkte in doppelter Schutzhaltung vom Randstein weg. »Ich frage mich, ob ich Angst davor habe, was er sagen wird.«
Zwischen Tönen: »Hmmm?«
»Mr. Newboy. Über meine Gedichte. Shit, ich will ihn gar nicht sehen. Ich möchte nur kennenlernen, wie Calkins lebt. Mir ist es egal, was Mr. Newboy über mein Geschriebenes sagt.«
»Ich hatte drei absolut wunderschöne Kleider da oben zurückgelassen, in Phils Schrank. Ich frag' mich, ob sie noch da sind.«
»Vielleicht, wenn Phil es auch ist«, sagte er aus seiner Schutzvorrichtung heraus.
»Himmel, nein. Phil ist schon seit . . . Wochen nicht mehr in der Stadt!«
Die Luft war prickelnd und roch nach Industrie. Er blickte zu einem Himmel empor, der hier tonfarben war, dort wie Elfenbein, dort heller, wie eine angelaufene Konservendose.
»Gute Idee von mir«, sagte Lanya, »mich zu trennen. Ich habe dich.« Ihre Finger glitten zwischen die Klingen, und sie ergriff zwei seiner Finger. Die Klingen drückten ihr schmales Handgelenk, rieben es und verletzten die Haut.
»Paß auf, du . . .«
Aber sie tat es nicht.
*
Efeu hing über die Mauer.
Vor dem Messingtor sagte sie: »Es ist still drinnen.«
»Schellt man«, fragte er, »oder ruft man?« Dann rief er: »Mr. Newboy!«
Vorsichtig entzog sie ihm ihre Hand. »Da war, glaube ich, mal eine Klingel . . .« Sie fingerte an dem Stein um die Messingtafel.
»Hallo . . .?« tönte es von innen. Irgendwo hinter den Kiefern knirschten Schritte auf dem Kies.
»Hallo, Sir!« rief Kidd, zog die Orchidee aus und hing sie in eine Gürtelschlaufe.
Ernest Newboy ging über den zerrupften Rasen. »Ja, es ist Dienstag, nicht wahr?« Er winkte mit einem zusammengerollten Papier. »Ich habe es vor einer halben Stunde entdeckt.« Er tat irgendwas an der Innenseite des Schlosses. Das Tor rasselte und schwang ein kleines Stück nach innen auf. »Freue mich, Sie beide zu sehen.« Er zog es ganz auf.
»Ist der Mann nicht mehr da, der hier eine Art Wärter gespielt hat?« fragte Lanya, während sie hineinging. »Er mußte die ganze Zeit dort drin sein.« Sie deutete auf ein kleines, grünes Häuschen, vom Weg aus nicht zu sehen.
»Tony?« fragte Mr. Newboy. »Oh, er fängt erst am späten Nachmittag an. Aber heute ist praktisch niemand zu Hause. Roger hat beschlossen, mit allen einen Ausflug zu machen.«
»Und Sie sind unseretwegen geblieben?« fragte Kidd. »Das mußte aber nicht . . .«
»Nein, ich hatte einfach keine Lust. Ich wäre nirgendwohin gegangen. »Tony . . .« murmelte Lanya und betrachtete die abgesplitterte Farbe an dem Wärterhäuschen. »Ich dachte, er hieße irgendwie skandinavisch.«
»Dann ist es vielleicht jetzt jemand anderes«, sagte Mr. Newboy. Er steckte die Hände in die Taschen. »Tony ist so italienisch, wie man es sich nur vorstellen kann. Er ist sehr nett.«
»War der andere auch«, antwortete Lanya. »Die Dinge ändern sich hier immer.«
»Ja, das stimmt.«
Sie gingen den Weg hinauf.
»Hier sind ständig so viele Leute, daß ich es aufgegeben habe, sie alle kennenzulernen. Es ist sehr hektisch. Sie haben allerdings einen ruhigen Tag erwischt. Roger hat sie alle mit nach unten genommen ins Zeitungsbüro.« Newboy lächelte. »Außer mir. Ich bestehe darauf, Dienstags auszuschlafen.«
»Schön, das hier wiederzusehen«, stimmte Lanya zu. »Wann sind die anderen zurück?«
»Ich denke, sobald es dunkel wird. Sie sagten, Sie haben hier schon einmal gewohnt. Würden Sie gern warten und Roger guten Tag sagen?«
»Nein«, antwortete Lanya. »Ich war bloß neugierig.«
Mr. Newboy lachte. »Ach so.«
Der Kies (der an Kidds taubem Fuß nagte) bog zwischen zwei weißen, säulenbestandenen Tempelimitationen hindurch. Bäume gingen in Hecken über. Und was früher vielleicht einmal ein Obstgarten gewesen war.
»Können wir quer durch den Garten gehen?«
»Natürlich. Wir können bei der Seitenterrasse hineingehen. Der Kaffee steht bestimmt noch heiß, und ich werde mich bemühen, ein paar Plätzchen aufzutreiben. Roger versichert mir immer wieder, ich solle mich fühlen wie zu
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