Dhalgren
Tälern die merkwürdigsten Dinge treiben, einige - Herr, wie viele? - ohne Zweifel wahnsinnig! Und zur gleichen Zeit« - er blätterte um -»ist nichts so demütigend, wie wenn man nach sehr kurzer Zeit merkt, wie nahe man selber schon darangekommen ist, es Dutzende von Malen aufzugeben, weil man abgelenkt war - Himmel, nein! -, nicht durch Reichtum oder Ruhm, sondern durch diese endlosen Strukturen der Logik und Notwendigkeit, die so langweilig vonstatten gehen, bevor sie zum unvermeidlichen Punkt gelangen, der bewirkt, daß ihre Enden zerfallen und Sie hindurchlassen. Man sucht sich seinen Weg durch Glas- und Aluminiumtüren, am Lächeln der Empfangsdame vorbei, zu den Lunchs mit zuviel Alkohol, den Eröffnungen mit noch mehr, diesem Mob von Leuten, die verzweifelt und mit viel zu lauten Stimmen versuchen, guten Geschmack zu definieren, daß man kaum sein eigenes Kichern vernehmen kann, während der ganze Kram durch farbenbekleckste Fenster mit Scheinwerfern und Lampen angestrahlt wird, neben der polizeibewachten Tür schimmert. Oder, wenn man an einem solchen Tag einen der seltenen Spaziergänge unternimmt, wenn das Licht den Himmel verschwimmen läßt, komplex wie ein Nordlicht. Auf jeden Fall bewirken sie, daß jedes Objekt, ob Achse, Kaffeehalter oder Walfänger, den erstaunlichsten Schatten wirft.« Wieder blickte Mr. Newboy hoch. »Vielleicht haben Sie ein Dutzend dieser Lichter bis an ihre Quelle verfolgt?« Er hielt die Seite zwis c hen den Fingern. »Geben Sie es zu - wir reden ja unter uns -, meistens war einfach nichts da. Obwohl in Ihrem Journal« - er ließ die Seite fallen, die er gerade flüchtig überlesen hatte - »oder in einem Brief an einen Freund werden Sie sich Mühe geben, es festzuhalten, und Sie werden auch zugeben, daß die Erfahrung im ganzen ziemlich wunderbar war und Sie mit unzulässiger Sehnsucht erfüllt hat, daß sie mehr als nur ein bißchen neugierig darauf sind, zu sehen, wie es geschrieben aussieht, und es wieder fortlassen. Manchmal haben Sie nur eine Plakette gefunden, auf der stand: >Hier traf Mozart Da Ponti< oder >Hier schlief Rodin<. Drei- oder viermal sind Sie auf eine merkwürdige Gruppe gestoßen, die heiß diskutierte, was an der gleichen Stelle vor langer Zeit passiert war, was, das versichern sie Ihnen, Ihnen bestimmt gefallen hätte, wären Sie nicht zu spät angekommen. Wenn Sie sie ertragen können, wenn Sie zuhören können, wenn Sie erfahren können, warum sie noch da sind, werden Sie etwas Wertvolles daraus ziehen. >Verdammt noch mal, legen Sie das Ding da aus der Hand und bleiben Sie noch ein bißchen!< Das ist eine sehr verführerische Einladung. So höflich sie selber sind, sind sie doch die einzigen Leute, die gewillt sind, sich mit Ihrer natürlichen Roheit abzufinden. Und ein- oder zweimal, wenn Sie Glück gehabt haben, haben Sie einen ruhigen, älteren Mann gefunden, der, als Sie etwas über ein Abendessen für ihn und seinen etwas zweifelhaften Freund gemurmelt haben, sie mit den Worten in Erstaunen gesetzt hat: >Danke sehr. Wir freuen uns.< Oder eine alte Frau, die im Fernsehen ein Baseballspiel sieht, die, als Sie ihr zum Geburtstag Blumen gebracht haben, über der Türkette lächelte und erklärte: >Das ist süß von euch, Jungs, aber ich empfange einfach keinen Besuch mehr. < Oh, das Ding da an Ihrer Hand. Sie haben es doch immer noch, oder?«
»Sir, vielleicht -?«
Newboy machte eine Handbewegung und sah wieder nach unten. »Es beginnt auf beiden Seiten spiegelnd: anfänglich beruhigend, aber schließlich doch verwirrend. Es steht irgendwie im Weg. Aber wenn Sie weitermachen, verblaßt das Silber. Jetzt sehen Sie mehr und mehr hindurch. Wirklich« - Newboy blickte schnell auf, dann wieder nach unten -, »es ist eine Linse. Die Übergangsperiode ist fast immer peinlich. Trotzdem. Während Sie noch durch Fetzen Ihrer eigenen Reflexion verwirrt sind, haben Sie schon angefangen, zu vermuten, es sei doch ein einseitiges Glas - mit besserem Blick von der anderen Seite! Aber einmal daran gewöhnt, finden Sie Ihren Blickwinkel interessanter. Mit ein wenig Übung kommen Sie so weit, daß Sie beides auf einmal lesen können, ohne anhalten zu müssen, um durch die andere Seite zu blicken. Oh, und wie viele, viele Male haben Sie jemanden getroffen, den Sie für splitternackt hielten und dessen Schild doch nur wie Ihr eigenes durchsichtig geworden war. Sie werden zurückhaltender mit dem Urteil, wer seins noch hat und wer es abgelegt hat. Und wenn ein
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