Dhalgren
die Glastüren zu. Kidd drehte sich um. »Wo siehst du hin?«
»Den Novembergarten.« Lanya lehnte mit gekreuzten Armen auf der Steinbrüstung.« Du kannst die Tafel von hier aus nicht sehen. Sie ist oben auf diesem Felsen.«
»Was ist in diesem . . . Novembergarten?«
Ihre Achseln zuckten ein »Nichts«: »Am ersten Abend, als ich hier ankam, war dort eine Party: November, Oktober und Dezember.«
»Wie viele Gärten hat er?«
»Wie viele Monate gibt es?«
»Und der Garten, durch den wir zuerst gekommen sind?«
»Der«, sie blickte zurück, »der hat keinen Namen.«
Wieder sah sie zu den Felsen. »Es war eine phantastische Party mit bunten Lichterketten. Und eine Band: Geigen, Flöten und ein Harfenist.«
»Wo hat er hier in Bellona die Geigen her?«
»Er hatte sie. Und Leute mit phantastischen Klamotten.«
Kidd wollte etwas über Phil sagen.
Lanya drehte sich um. »Wenn meine Kleider noch hier sind, ich weiß genau, wo ich sie finde.«
Mr. Newboy schob einen Teewagen durch die Glastür. Zweimal schepperten Tassen und Schüsselchen, als er über die Schwelle fuhr. Auf dem unteren Tablett befanden sich Teller mit Kuchen. »Sie haben Mrs. Alt kurz nach dem Backtag erwischt.«
»Oh«, sagte Kidd. »Das sieht gut aus.«
»Bedienen Sie sich.« Er goß dampfenden Kaffee in blaues Porzellan. »Zucker? Sahne?«
Kidd schüttelte den Kopf. Die Tasse wärmte sein Knie. Er biß zu. Kekskrümel rollten über sein Notizbuch.
Lanya saß auf der Mauer, schwang den Tennisschuh gegen die Steine und stopfte ein Mürbeteighörnchen mit Butterkrem in sich hinein. »Also«, begann Mr. Newboy, »haben Sie einige Gedichte mitgebracht?«
»Oh.« Kidd fegte die Krümel fort. »Yeah. Sie sind aber handgeschrieben. Ich habe keine Schreibmaschine. Ich schreibe sie noch einmal sauber nach, wenn ich daran gearbeitet habe.«
»Wahrscheinlich kann ich sie entziffern, wenn sie sauber geschrieben sind.«
Kidd blickte auf das Notizbuch, zu Lanya, zu Mr. Newboy, zum Notizbuch. »Hier.«
Mr. Newboy setzte sich bequem hin und blätterte durch. »Ah, Ihre Gedichte sind alle auf der linken Seite.«
Kidd hob die Tasse hoch. Kaffee dampfte an seine Lippen.
»Soso . . .« Mr. Newboy lächelte in das Buch hinein und hielt inne. »Sie haben also diese heilige und aufregende blutende Wunde erhalten . . . nun, Lyrik.« Er blätterte eine Seite um und verweilte (nach Kidds Einschätzung) nicht lange genug, um es richtig zu lesen. »Aber haben Sie sich lange genug danebengekauert, durch ihre Ränder die Kreuzung Ihrer eigenen Humanität mit der der Rasse beobachtet?«
»Sir . . .?«
»Ob Liebe oder Wut«, fuhr Newboy fort und sah nicht hoch, »oder Unabhängigkeit die Beobachtung verursacht, spielt keine Rolle. Wenn Sie es nicht tun, ist all Ihr Blut vergeblich geflossen . . . Ah, ich glaube, ich versuche nur, dem wieder Bedeutung zu verleihen, auf was man sich unangemessenerweise in der Kunst als Unversalität bezieht. Es ist ein inadäquater Bezug, wissen sie.« Er schüttelte den Kopf und blätterte weiter. »Es gibt keinen Grund, warum Kunst alle Menschen ansprechen sollte. Aber jeder Verleger und Unternehmer ist tief in seinem Herzen überzeugt, daß sie es tut, möchte es so, wünscht es sich. Sie haben in der Bar nach Veröffentlichungsmöglichkeit gefragt?« Er blickte strahlend auf.
»Das stimmt«, sagte Kidd zurückhaltend und neugierig. Er wünschte sich, Newboy würde schweigend weiterlesen.
»Verleger, Herausgeber, Galeriebesitzer, Orchestermanager! Was für unglaubliche Parameter für die kreative Welt. Aber es ist klärend und instruktiv, wenn man mit einer solchen Wunde wie der Ihren herumläuft. Trotzdem glaube ich nicht, daß irgend jemand hineingelangt, ohne daß ihm jemand das Zauberschild verliehen hat.« Newboys Augen senkten sich wieder, hoben sich und suchten Kidds Blick. »Fänden Sie es gut?«
»Huh? Yeah. Was?«
»Auf der einen Seite«, setzte Newboy mit zwinkerndem Ernst an, »steht: >Sei wahrhaftig zu dir selbst, dann bist du es auch zu deiner Arbeit. < Und auf der anderen: >Sei wahrhaftig in deiner Arbeit, dann bist du es auch zu dir selbst.<« Wieder senkten sich Newboys Augen auf das Papier. Seine Stimme fuhr gedankenversunken fort: »Es macht ein bißchen Angst, über seinen eigenen Horizont zu blicken und so viele andere ausrangiert und glitzernd in dieser stachligen Umgebung zu sehen. Ganz zu schweigen von all diesen nackten Leuten, die oben auf ihren verschiedenen Bergen oder unten in ihren einzelnen
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