Dhalgren
»Danke.« Er lächelte. »Ich komme ein anderes Mal wieder.«
»Ich lasse dich nur weg, wenn du das versprichst.« Bunny griff plötzlich nach Kids Brust. »Nein, nein, spring nicht weg. Mutter will dich nicht vergewaltigen.« Bunny schob einen Finger unter die Kette an Kids Bauch. »Wir haben etwas gemeinsam, du und ich.« Mit der anderen Hand hob Bunny die weiße Seide hoch und zeigte die optische Kette um den schlanken, stark geäderten Hals. »Alptraum und ich, Madame Brown und Alptraum. Du und Madame Brown. Ich frage mich, ob ich es verrate, wenn ich es so sage.« Bunny lachte.
Kid fühlte, wie seine Wangen brannten. Er war unsicher, obwohl er nicht wußte warum. Der übrige Körper blieb kühl. Ich kann die normale Zurückhaltung nicht in so kurzer Zeit verlernt haben, dachte er. Und wollte immer noch dringend und unmittelbar gehen.
Bunny sagte: »Ich sag deiner Freundin Bescheid, wenn ich sie sehe. Weißt du, selbst wenn du nicht so . . . ahem, lächelst, wie ich das so liebe, werde ich deine Nachricht weitergeben. Weil du dann merkst, daß ich will, daß du mich magst und zurückkommst. Wenn ich etwas für dich tue, ist das die eine Möglichkeit, dich dazu zu bekommen. Nur, weil ich kein guter Mensch bin« - Bunny winkte -, »mußt du nicht denken, daß ich ein schlechter bin.«
»Yeah. Klar. Danke.« Kid löste sich aus Bunnys Fingern. »Bis bald.«
»Tschüs!« rief Pepper von der Theke her, wo er neuen Wein holen gegangen war.
*
Auf den Straßenschildern stand jetzt FILBERT und PEARL.
Die Leiter und die Dame in Grün waren verschwunden.
Er überlegte und verglich die Richtungen, verfehlte den Park, sah, wo der Nebel am dicksten war (nach »Pearl«) und ging los. Lanya? Dachte an sein Rufen, ein Echo in der Dämmerung, ein Nachklang im Ohr. Hier? In dieser Stadt? Er lächelte und dachte daran, sie zu umarmen. Er überprüfte seine zweifelhaften Erinnerungen und fragte sich, wohin er wohl gehe. Nur, wenn wir keinem Zweck mehr unterliegen, dachte er, wissen wir, wer wir wirklich sind.
Plötzlich schmerzte es ihn, daß er keinen Namen hatte, und plötzlich verlangte er nach einem, wollte es mit der gleichen Dringlichkeit, die ihn veranlaßt hatte, den zu akzeptieren, den ihm Tak gegeben hatte. Ohne Namen konnte er suchen, überleben, in jemandes Notizbuch phantasievolle Wortverbindungen erfinden, in der Vorstellung einen Mord begehen, sich um das Überleben eines anderen kümmern. Mit Namen wäre das Gehen, das bloße Sein einfacher. Ein Name, dachte er, ist das, wie dich die anderen nennen. Und genau da ist es entweder wichtig oder nicht. The Kid? Er dachte: Noch eine Handvoll Winter und Sonne, und ich werde dreißig sein. Wie unwichtig dann, wenn ich mich nicht erinnern kann. Wie bedeutsam, daß ich mich nicht daran erinnern kann. Vielleicht bin ich jemand Berühmtes? Nein, ich kann mich gut erinnern, was ich gemacht habe. Ich wünschte, ich fühlte mich abgeschnitten, allein, eine isolierte Einer-Gesellschaft, wie alle anderen. Entfremdung? Das ist es nicht. Ich bin zu sehr daran gewöhnt, daß man mich mag.
Verdammt! Wenn er doch das Notizbuch hätte. Doch bei diesem Gefühl, stieg kein Wort in ihm auf, als er lauschte, um den Anfang der Fixierung dieser Gedanken zu setzen. Er fingerte mit den Klingen an seiner Hüfte und hörte - fühlte es nicht -, wie eine Schneide über seinen tauben Daumen schabte. Er bog um die nächste Ecke.
Automotoren waren so selten, daß er Angst bekam, bis er den Bus erblickte. Er schlenderte um die Ecke zu der weiß aufs Pflaster gemalten Haltestelle. Klapp-klapp, die Türen. Er sah den stirn-glatzigen Fahrer, der mit zusammengekniffenen Augen in den Seitenspiegel starrte, als beobachte er den Verkehr.
Warum nicht, dachte er, und kletterte die ausgetretenen Gummistufen hoch.
»Sie wollen Transfer?«
»Hey, tut mir leid. Wenn Sie Fahrgeld oder so etwas wollen.« Er trat zurück.
Doch der Fahrer winkte ihn herein. »Das ist ein Transferpunkt. Ich dachte, Sie wollten vielleicht Transfer. Komm.« Klapp-klapp. Der Bus ruckte los.
Auf dem hinteren Sitz schlief ein alter Mann, den Hut herabgezogen und den Kragen hochgestellt.
Eine Frau auf dem Vordersitz mit über einem Taschenbuch gefalteten Händen. Eine jüngere Frau mit großem Lockenkopf starrte aus dem Fenster. Ein Junge mit einem kleineren saß nervös direkt an der hinteren Tür und stellte die Füße in Tennisschuhen übereinander.
Gleichzeitig merkte er, daß es keinen Sitzplatz gab, von dem aus
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