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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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an Dennys Schulter.) Er glaubt, ich habe sein Leben gerettet. Was - denn er sah Licht - machen sie da draußen? Schulter an Schulter gingen sie in den stillen ersten Stock.
    Denny ging im Halbdunkeln zwischen Stapeln von Tweed und Cord.
    Kid blickte auf die Gestalt direkt in der Tür neben ihm (was natürlich ein Ankleidespiegel in einer hölzernen Kabine war, der leicht gekippt den geneigten Boden spiegelte), und - jemand hatte einmal in einem Sportumkleideraum, der sich auf ein Feld hin öffnete, Schnee auf seinen nackten Rücken geworfen.
    Als er dort hinsah, erlebte er es noch einmal (und es fiel ihm wieder ein: Es war in einem Winter in Vermont), vergaß es dann wieder, sah das Spiegelbild an, versuchte, es zurückzurufen, da er jetzt bereits die dritte, vierte, fünfte Sekunde lang das anstarrte, was ihn zuerst gefesselt hatte. Er hob die Hand (die Spiegelhand hob sich), drehte den Kopf ein wenig (der Kopf drehte sich ein wenig), atmete ein (das Spiegelbild atmete). Er berührte seine Weste (das Spiegelbild berührte sein Khakihemd), hob plötzlich die Hand und fuhr mit den Knöcheln ans Kinn (die Knöchel des Spiegelbildes fuhren in einen schwarzen Vollbart) und zwinkerte (seine Augen zwinkerten hinter einem Plastikbrillengestell).
    Die Hose, dachte er, die Hose ist die gleiche. Ein weißer Faden schlängelte sich am Schenkel über den schwarzen Baumwollstoff. Er (und das Abbild) zupften ihn langsam ab, krallte plötzlich die Zehen in den Teppich (die Spitzen der schwarzen Arbeitsstiefel bogen sich), streckte noch einmal die Hand nach dem Spiegel aus. Er spreizte die Finger (die Spiegelfinger spreizten sich), der Faden fiel herab (der Faden fiel herab).
    Zwischen knorpligen Knöcheln und abgekauten Nägeln hindurch sah er auf die glatten Innenflächen der Finger, die dünner als seine waren. (Er ist größer als ich, dachte Kid sinnloserweise, größer und steifer.) Er drehte die Hand um und blickte auf die Innenseite: Die gelben Schwielen trugen unzählige Falten, tief wie Narben. Zwischen den Fingern sah er Handrücken mit nur ganz wenigem Haar, einer zarten Narbe über dem mittleren Glied und einer dunklen Stelle links am ersten Gelenk. Die Nägel im Spiegel hatten zwar außer bei den Daumen keine Halbmonde, waren aber so lang wie in den Träumen seiner Pubertät und nur etwas schmutzig. Er blickte auf die andere Hand. Seine war gepanzert, und die im Spiegel hielt - sein Notizbuch? Aber die Übereinstimmung (er dachte an die Kirchturmuhr mit den abgebrochenen Zeigern) war zu banal, um ihn zu erleichtern. Er wollte weinen und blickte voll in das Gesicht, das ihm Zucken für Zucken entgegenspiegelte, trotz des Bartes und der Brille (und einem kleinen Messingring in einem Ohr!) und zurückblickte, verwirrt, verzweifelt und traurig.
    Die Kombination war erschreckend.
    »Hey«, sagte jemand. »Wo starrst du hin?« griff den oberen Teil des Spiegels von hinten und schleuderte ihn herum. Er wirbelte zwischen den Haltestangen. Der untere Rand schlug an Kids Kinn.
    Kid taumelte.
    »Drückst du deine Pickel aus?« Copperhead grinste über den Spiegel hinweg, der jetzt flach wie ein Tisch stand.
    Bestürzt und wütend sprang Kid nach vorn und landete die freie Faust unter dem vorderen Rand des Spiegels. Das andere Ende riß sich aus Copperheads losem Griff, kratzte an seiner Brust vorbei und schlug ihm unters Kinn. Der Spiegel schwankte wieder zurück. Brüllend, mit der Hand am Kinn, tanzte Copperhead durch die Kleiderständer. »Was, zum Teufel . . . Arggg! Oh, meine Zunge! Ich habe auf die Zunge gebiss . . . Ahhhhh!« Als er zum dritten Mal hochblickte, zwinkerte er nur.
    Kid schnappte nach Luft.
    Ein Glasdreieck fiel aus dem Rahmen und zerbrach auf dem Teppich. Hinter den Sprüngen sah er sich barfuß, ohne Bart, keuchend, wie er die Ketten auf der Brust rieb. An seiner Hüfte blitzte die Orchidee. Ein paar Schritt dahinter sah Denny zu und hielt etwas im Arm.
    Kid drehte sich im Halbdunkel um.
    »Ich habe hier . . .« Denny sah zu Copperhead hinüber, der sich das Kinn rieb und finster vor sich hin starrte. »Da drüben gibt es Schuhe und Stiefel und so. Ich habe dir hier« - er hob den Armvoll hoch-, »diese mitgebracht.«
    »Huh?«
    »Weil du deinen Schuh verloren hast.« Denny sah wieder zu Copperhead hinüber.
    Kid sagte: »Drückst du dir jetzt deine Pickel aus?« Dann lachte er. Einmal angefangen, wurde es hysterisch. Er hatte Angst. Lachen, dachte er, ist wie geronnenes Bellen. Er lachte und lehnte sich

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