Dhalgren
weiter als eine Häuserzeile entfernt nahm nachtschwarzes Wasser das Funkeln der Straßenlaternen und roter, lodernder Feuer auf. »Hey, ist das nah . . .«
Vor ihm über der Stadt verschwommen die Umrisse über dem Wasser. Er konnte das andere Ufer nicht sehen. Es hätte sogar das Meer sein können, wäre die Brücke nicht . . . Über ihm schien sich der Himmel teilweise aufzuklären, die klaren Stellen wurden jedoch nicht durch Sterne bestätigt.
»Wie kommt's, daß es so nah ist?« Er wandte sich von der Brüstung, als das Licht in dem Verschlag anging.
Tak war schon hineingegangen.
Kid sah zu den Lagerhäusern, auf das Wasser dazwischen. Freude, plötzlich und andauernd, ließ seine Mundmuskeln sich zu einem Lachen verziehen. Aber er hielt das Geräusch mit kleinen Atemzügen in sich. Was in ihm anschwoll, rührte vom Licht her. Es brach heraus - er blinzelte, und die Rückseiten seiner Lider machten ihn blind - und hinterließ eine große Welle von Vertrauen, die ihn innerlich durchspülte. Nicht daß ich diesem Vertrauen eine Sekunde lang vertraue, dachte er grinsend. Aber es war da, und es war angenehm wohltuend. Er ging in die Hütte. »Es ... es ist so klar heute abend.«
Ein winziger Splitter Traurigkeit glitzerte in den samtigen Falten des guten Gefühls.
»Als ich das letzte Mal hier war, war Lanya bei mir.«
Tak knurrte nur und drehte sich am Schreibtisch um. »Brandy?« Doch er lächelte.
Kid nahm das Glas und setzte sich auf das harte Bett. Jetzt rollte Tak das Poster auseinander:
George Harrison als Mond.
»Jetzt hast du ja alle drei.« Kid nahm einen Schluck, die Schultern hielt er zusammengezogen.
George in Ledermontur hing immer noch über der Tür.
George im Wald hatte den germanischen Jüngling verdrängt.
Tak rollte seinen Stuhl an die Wand und stieg auf das grüne Kissen. Ecke für Ecke zog er den »Spanischen Jungen auf Felsen« ab. »Gibst du mir den Tacker?«
Das erste Poster flatterte zu Boden.
Ch-klack, ch-klack, ch-klack - der neue Mond ersetzte es.
Kid setzte sich wieder hin und sah sich über den Rand seines Glases die drei Versionen von George an, während Tak vom Stuhl stieg. »Ich . . .« Kids Stimme klang hohl und ließ tief in seinem Ohr etwas kitzeln, was ihn zum Lächeln brachte. »Weißt du, daß mir fünf Tage fehlen?« Er glitt mit den Fingern um das Glas herum, bis die Spitzen aufeinandertrafen.
»Wo -« Tak legte den Tacker hin, nahm die Flasche und lehnte sich gegen den Schreibtisch; Hände schlossen sich um den grünen Hals; der untere Teil stieß eine Falte in seinen Bauch. » - oder würdest du es mir sagen, wenn du es wüßtest? - Wo hast du sie denn verloren?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du siehst aber ganz vergnügt aus.«
Kid stöhnte. »Ein ganzer Tag. Es dauert ungefähr so lange jetzt, wie eine Stunde, als ich dreizehn oder vierzehn war.«
»Und ein Jahr dauert so lange wie ein Monat. Oh, ja, mit dem Phänomen bin ich vertraut.«
»Die meiste Zeit meines Lebens verbringe ich damit, herumzuliegen und mich auf das Einschlafen vorzubereiten.«
»Das hat mir auch schon mal jemand erzählt, aber ich selber bin mir dessen nicht so bewußt.«
»Vielleicht habe ich in den letzten paar Tagen einfach geschlafen. Das Licht wechselt hier doch kaum zwischen Abend und Morgen.«
»Du meinst, es sind die letzten fünf Tage, die dir fehlen?«
»Yeah. Was habe ich bloß gemacht? Lanya sagt . . . jeder hätte darüber geredet.«
»Nicht jeder, aber genug.«
»Was haben sie gesagt?«
»Wenn dir die Tage fehlen, weiß ich nicht, warum dich das interessiert.«
»Ich wüßte einfach gerne, was ich gemacht habe.«
Zusammen mit Taks Lachen spritzte Brandy in der Flasche hoch. »Vielleicht hast du in den letzten fünf Tagen nach deinem Namen gefahndet. Komm, sag mir schnell: Wer bist du?«
»Nein.« Kid zog die Schultern noch höher. Das Gefühl, etwas spielte mit ihm, tanzte wie ein zu weicher Ball auf einem gebogenem Rand und rollte in einen samtenen Sack. »Das weiß ich auch nicht.«
»Oh.« Tak trank aus der Flasche und stellte sie zurück auf seinen Bauch. »Nun, ich wollte es einfach mal versuchen. Ich denke nicht, daß man darauf herumreiten sollte.« Der Brandy schwankte. »Was hast du die letzte Woche über gemacht? Laß mich mal hören.«
»Ich weiß, daß ich mit Skorpionen zusammen war - ich habe diesen Typen Pepper kennengelernt. Und der hat mich auf dieses Warenhaus scharfgemacht, wo die anderen hinwollten . . . um zu plündern.«
»Soweit
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