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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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spottete und sich zärtlich fühlte.
    Er blickte auf seine Ketten hinab, fuhr mit den Fingern an ihnen entlang, hob die herabhängende Orchidee hoch und beobachtete, wie sie sich unter dem allgegenwärtigen Gold veränderte. Dann setzte er sich gegen die Holzschindelwand, stellte die Füße gegen die Pfoten der Löwen, nahm das Telefonverzeichnis auf den Schoß und begann, mit dem Stift zu klicken.
    Unter all den anderen Geräuschen drinnen schrie jemand, keuchte und schrie wieder, was bedeutete, daß jemand etwas Schreckliches tat. Oder jemand dachte, jemand täte es.
    Es ist interessant, Aktionen zu beobachten. Ich lerne etwas über die Handelnden. Ihre Bewegungen sind in dieser inneren Landschaft Embleme der Spannung, die die Handlung auflöst. Beinahe etwas tun, ist ein interessanter Zustand der Erfahrung, weil ich mir genau dieser Spannungen bewußt bin. Handeln an sich ist ziemlich langweilig, es löst diese Spannungen nicht nur auf, es löschte sie auch aus meinem Bewußtsein aus. Handeln ist nur insoweit interessant, als es zu neuen Spannungen führt, die mich irrelevanterweise zu neuen Handlungen führen. Aber hier, unter diesem gigantischen Licht, mit dem pappgebundenen Telefonverzeichnis über dem Loch in meinem Jeansknie - das ist nicht, was ich schreiben will. Ich werde gleich schreiben. Ich nehme meinen Daumen vom Knopf des Stifts. Ich fummle den Stift an meinen Fingern entlang (schrecklich?), bis sie den Griff halten. Ich fange an.
     
    *
     
    Lanya stieß wie ein kleiner, stiller Iguanodon in Kids Gesichtskreis. Kid bewegte sich nicht. Lanya setzte sich seitlich auf einen Löwenkopf und blickte fünfundvierzig erstaunte Sekunden lang über die Straße. Dann zu Kid: »Schreibst du immer noch über . . .?«
    »Nein.« Der hypersensitive Nachklang von der Arbeit hatte sich mit Lanyas Stimme abgefunden. »Ich bin schon ein paar Minuten fertig.«
    Lanya blinzelte zu dem gigantischen Halbkreis. Dann sagte sie: »Hey . . .« und runzelte die Stirn. »Es geht unter.«
    Kid nickte. »Man kann es fast fallen sehen.«
    Die Wolken, die den Rand verwischten, hatten eine tiefere Farbe, von Gold zu Bronze, angenommen. Drei Viertel des Kreises waren über den Dächern zu sehen gewesen, als sie zuerst auf diese Straße kamen. Jetzt war es weniger als die Hälfte. (Und selbst die Hälfte war noch entsetzlich groß.) Lanya zog die Schultern zusammen.
    Denny kam durch die Tür, blieb stehen, legte beiden eine Hand auf die Schulter und wandte sein Gesicht dem Leuchten zu. Dann setzte er sich stumm auf das Geländer neben Lanya, umfaßte seine Knie - sein Arm einen Zoll von ihrem entfernt.
    Denny kommt: Ein phantastisches Objekt.
    Sie kommt: Ein noch phantastischeres Objekt, und mit einer Geschichte.
    Lanya beugte sich nach vorn, nahm das kleine Buch und las. Nach einer Weile sagte sie: »Ich finde es gut.«
    Aber was, dachte Kid weiter, wenn jemand dumm genug ist, mich nach einer Entscheidung zu fragen? Er versuchte ein ironisches Lächeln, doch der ironische Teil verlor sich in der Mechanik seiner Gesichtszüge. Daher nahm er an, war es ein einfaches Lächeln.
    Jedenfalls erhielt er von ihnen ein Lächeln zurück.
    Denny sagte: »Es geht unter«, unnötigerweise für sie.
    Eine Hand drückte gegen ihr Knie die andere fuhr über ihr Gesicht, und sie atmete voll aus.
    In ihm klang Schrecken wie ein Löffel gegen einen zerbeulten Topf. Kid streckte die Hand aus und berührte ihr Schienbein. Schrecken? dachte er: Wenn etwas erschreckt, das weder laut ist, noch sich schnell bewegt, aber Stunden dauert, verändern wir uns sehr stark. Ich weiß nicht, wer sie ist! Er griff fester zu.

Sie runzelte die Stirn, rückte mit dem Zeh im Turnschuh von seinem nackten Fuß ab.
    Er ließ daher die Hand fallen.
    Sie holte, mit der Hand gegen den Bauch gedrückt, tief Luft und hob ihr verschwitztes Gesicht, zwinkerte immer wieder mit den grünen Augen und sah zu.
    Als jemand anders herauskam fragte Lanya: »Warum hast du keine Angst?« Kid dachte an Träume, wußte nichts zu antworten, sondern nickte nur auf das sinkende Licht zu.
    Sie sagte: »Dann habe ich auch keine.«
    Der Junge, der herausgekommen war, war der pickelige, stoppelbärtige Skorpion. Er blickte unsicher umher, als spüre er, etwas gestört zu haben, wollte sich umdrehen und gehen (Was fühlt er, dachte Kid, warum sieht er so konventionell aus?), als Frank, der Dichter aus der Kommune, herauskam.
    Dann folgten zwei händchenhaltende, schwarze Mädchen (dreizehn? zwölf?).

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