Dhalgren
Emanzipation hat uns das Privileg weggenommen, unsere Meinung ändern zu dürfen, huh?« Sie seufzte. »Doch die meisten Leute werden froh darüber sein.«
»Hey«, fragte Kid, »bumst du mit Madame Brown?«
»Nein!« Lanya blickte vom Buch auf, überrascht. »Wie kommst du darauf?«
»Ich weiß nicht.« Kid zuckte mit den Schultern. »Sie mag Mädchen und - nun, du bist hier -«
Lanya runzelte die Stirn. Das Buch schlug auf die Decke. »Können in dieser Stadt zwei Leute nicht einfach mal nur Freunde sein?«
»Du solltest aber mit ihr bumsen.« Denny blickte nicht auf.
»Warum?« fragte Lanya.
»Weil sie deine Freundin ist«, sagte Denny.
Das Stirnrunzeln blieb einen Moment lang. Dann lachte sie. »Bist du der Gegenkultur- Dale Carnegie? Hey, geh von meinem Fuß, huh?«
Denny rutschte zur Seite. »Hast du das Zeugs hier alles allein geschrieben?« Er blätterte noch eine Seite um, wieder zurück zur ersten Seite, öffnete es wieder. Er blätterte noch eine Seite um, schloß das Buch, öffnete es wieder. »Hey, das ist doch das, was sie in dieser Scheißzeitung immer ankündigen, oder?«
»Klar ist es das.« Lanya blätterte auch eine Seite um. »Oh, du bist süß, daß du es mir vorbeibringst.« Sie sah ihn an, blickte zurück. »Ich glaube . . . ich muß dir etwas beichten.«
»Was denn?«
»Ich habe schon schätzungsweise zwölf Exemplare an ungefähr jeden, den ich kenne, verteilt. Und ich kann, glaube ich, schon die Hälfte der Gedichte auswendig - ich habe sie doch gekannt, bevor sie veröffentlicht wurden.«
»Ist schon gut.« Kid versuchte, herauszubekommen, ob er sich dadurch gut oder schlecht fühlte.
»Ich wollte dich schon fragen, ob du mir in das Exemplar, das ich für mich behalten habe, hineinschreibst. Aber jetzt ist das hier meins.« Sie hielt es an die Nase. »Es riecht wie du. Das ist viel besser als ein Autogramm, glaube ich.«
Denny schloß das Buch zum sechsten Mal und schnüffelte daran. »Magst du, wie Kid riecht?«
»Mmmmmm.« Lanya legte den Arm um Kids Brust und zog ihn nach hinten. »Du nicht?«
»Ich bekomm' einen Steifen davon«, sagte Denny. »Manchmal. Aber ich weiß nicht, ob ich's gut finde.«
Kid legte sich zurück. »Ich finde es nett, daß du sie verteilt hast. Ich wußte nicht, daß man sie schon so lange bekommen kann. Und jetzt erzählst du mir bestimmt, daß mir wieder ein paar Tage fehlen. Wie hast du diesen Dschungel hier zustande bekommen?«
»Es ist alles Coleus. Sie wachsen praktisch überall.«
»Schlingpflanzen«, sagte Kid. »Ist wie ein verdammter Dschungel.«
»Pflanzen wirken beruhigend.«
»Solange sie dich nicht in die Hand beißen, wenn du sie begießt.« Er starrte durch die verschiedenen Lilatöne an die Stuckdecke (wieder ein anderes Weiß als bei Stoff oder Haut). »Kenne ich Wally Efrim?«
»Wally? Natürlich. Er war in der Parkkommune. Warum?«
»Wir haben ihn gestern umgebracht.«
Er dachte, sie würde zusammenzucken; tat sie aber nicht.
»Was?«
»Gestern. Einer von unseren etwas zurückgebliebenen Freaks hat ihm mit einem Rohr eins über den Schädel gegeben: Tot. Du warst doch da. Es ist unten in der Küche passiert, während wir oben auf dem Balkon saßen.«
»Es war Dollar«, sagte Denny.
»Herr . . .« flüsterte sie ernst und schockiert.
»Dollar war der, mit dem du geredet hast, der so -« fuhr Denny fort.
Bis sie ihn unterbrach »- ich kann mich an Dollar erinnern. Wally?«
»Welcher war Wally?« Kid schloß die Augen.
»Das war der, der ständig über Hawaii geredet hat.«
»Oh.« Kid öffnete die Augen wieder. »Yeah. Ich kann mich erinnern.«
»Er ist . . . tot?«
»Irgendeine dämliche Schlägerei. Ich weiß nicht, was passiert ist. Wir waren alle da, und niemand - «
»Ich weiß, was passiert ist«, sagte Denny. »Dollar ist total bekloppt! Wahrscheinlich hat irgend jemand etwas gesagt, was er besser gelassen hätte, und Dollar wußte nicht, wann er aufhören sollte.«
Lanya schnalzte mit der Zunge. »Das ist Wally. Kid, das ist schrecklich! Was wird jetzt passieren?«
Er zuckte die Achseln. »Zum Beispiel?«
An dieser Stelle holte Denny tief Luft und sagte: »Shit, Mann! Du schreibst doch diese gottverdammten blutrünstigen Gedichte. Wie das mit dem Jungen, der in den Fahrstuhlschacht fiel. Wow . . .!«
Kid sah Denny an.
». . . Beide Beine . . . gebrochen«, buchstabierte Denny. »weichschädlig, glibberhüftig.«
Kid rollte plötzlich herüber, schnappte sich die Ecke des Buches und zerrte es zu
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