Dhalgren
ein komisches Mädchen.«
»Du bist auch ein komischer Typ.«
Denny biß sich einen Moment auf die Lippen und nickte dann tiefsinnig. »Das bin ich mit tödlicher Sicherheit.«
»Worüber grinst du so?« fragte Lanya Kid.
»Nichts.« Und grinste noch stärker. »Du solltest auch Ketten tragen, dann bist du wie ein Mitglied . . .«
Sie dachte einen Moment nach und saugte an der Unterlippe. »Nein.« Unter dem Leder war gerade eine Brustwarze zu sehen. Die andere war bedeckt. »Einfach neugierig.« Und nahm ihre Harmonika vom Boden neben dem Bett.
Sie drängen mich spielerisch in eine Gewalthaltung. In dieser gewalttätigen Stadt treibend, weiß ich nicht, was für eine Art Kleister Worte und Zunge zusammenklebt. Halt sie dort in der Muskelwiege. Nichts wird passieren. Wie sagt man am einfachsten zu Kamp oder Lanya oder Denny, daß all ihre Tage ihr Urteil über die Nacht lächerlich gemacht haben. Ich kann darüber schreiben. Warum soll ich es an einen Dämmertag verlieren? Wenn man es im Mund behält, kristalliert sich eine Wut heraus, die bitter in die Kehle tröpfelt, eine Substanz zum Anfassen. Doch das ist es nicht, was ich denke. Das ist bloß (dachte er), wie sich Denken anfühlt.
Auf dem Weg durch das Wohnzimmer schwiegen sie. Oben an der Treppe begann Denny zu kichern. Lanya scheuchte sie hinab. Hysterisch lachend erreichten sie die Veranda.
»Was ist denn so komisch?« fragte sie dreimal; dreimal erholte sich ihr Gesicht von den Grimassen der Fröhlichkeit.
Kid dachte: Es gibt Augenblicke, wenn sie lacht, dann ist sie sehr häßlich. Er achtete darauf, sah es wieder und merkte, wie sein Lachen stärker wurde. Sie nahm seine Hand, und darüber war er sehr froh. Aus seiner Stimme verschwand die Schrille.
Auch Dennys wurde wieder normal, aufgrund irgendeiner Erleichterung, die Kid nicht verstand.
»Wo ist deine Schule?« fragte Kid.
»Huh?«
»Denny hat mir erzählt, du unterrichtest in einer Schule. Und Madame Brown hat etwas über irgendwelche Klassen gesagt.« »Du hast mir doch von der Schule erzählt«, sagte Denny.
»Sie ist gleich da unten. Da gehen wir jetzt hin.«
»Schön.«
Sie biß sich auf beide Lippen und nickte; dann glitt ihr Arm unter Kids Ellenbogen, die andere Hand streckte sie Denny entgegen . . . der so tat, als sähe er sie nicht und auf dem Bordstein balancierte. Daher ließ sie auch Kids Hand los.
Die grüne Jacke war neu. Das Hemd zwischen den Reißverschlußteilen sah alt aus. Er kam um die Ecke, unsicher, mit leicht nach vorn geneigtem Kopf. Die ungezielten Schritte führten ihn mal nach rechts, mal nach links. Fünfundzwanzig? Dreißig? Sein schwarzes Haar war fast schulterlang. In dem knochigen Gesicht war nichts Augenähnliches zu sehen. Er . . . stolperte näher. Winzige Lider kräuselten sich über halb zugewachsenen Augäpfeln, die ansonsten glatt wie das Innere einer Teetasse waren. Aus einem tränte ein Schleimfaden an der Nase entlang. Er kam weiter auf sie zu und verfehlte den Laternenpfahl nur durch einen glücklichen Schlenker. Um seinen Hals hing an einem Band ein Pappschild, auf dem mit Kugelschreiber stand:
»Hilf mir bitte. Ich bin taubstumm.«
Denny trat näher an Lanya heran und griff nach ihrem Arm. Der Stummblinde ging vorbei. »Wow -« begann Denny leise. Dann stockte ihm der Atem.
Aus einem Eingang stürzte der dicke blonde Mexikaner in dem kragenlosen Wollhemd. Das unregelmäßige Tapsen der Cowboystiefel des Stummblinden stoppte, als der Mexikaner seine Schulter umfaßte; sein Kopf fuhr hoch und ging hin und her, als schnüffle er, als der Mexikaner seine Hand nahm. Er preßte die Faust gegen die Handfläche des Stummen, drückte wieder und wieder und machte verschiedene Zeichen. Der Stummblinde nickte. Dann gingen sie schnell zur Ecke, wobei sie sich gegenseitig am Arm hielten.
»Shit . . .« sagte Denny zögernd und fragend. Er sah Lanya an. »Wir haben ihn schon mal gesehen, erinnerst du dich? Den Dicken. Er hat Kid geboxt, weißt du. Kam einfach über die Straße und hat ihn geboxt.«
»Warum?« fragte Lanya. Sie streckte die Hand aus und hielt mit der linken Hand Dennys rechtes Westenrevers.
»Erzähl mir nicht, daß in dieser Stadt alles seinen Grund hat«, sagte Kid. »Ich weiß es nicht.«
»Also«, meinte Lanya, »normalerweise passiert hier in Bellona alles wegen . . .« Dann schnalzte sie mit der Zunge. »Taub und Blind. Das ist schon was. Ich war mal in San Francisco. Kennt ihr das Wohlfahrtsbüro auf der Mission
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