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Dhalgren

Dhalgren

Titel: Dhalgren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R Delany
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»Glaubst du wirklich, er würde so etwas tun?«
    »Ihr habt ihn doch kennengelernt«, meinte Frank. »Er ist nicht gerade ein literarischer Typ.«
    »Oh, jeder schreibt heutzutage Gedichte«, sagte Bill.
    »Sie glauben also« - Das war Kamps Stimme; sie kam unter der Brücke her, wo Kid ihn nicht sehen konnte -, »daß er sämtliche Gedichte einfach dem Notizbuch entnommen hat?«
    »Oh, vielleicht . . .« begann Frank. »Ich möchte ihn nicht irgendwie beschuldigen. Vielleicht hat er nur diese beiden genommen. Ich weiß es nicht. Vielleicht auch nur ein paar Zeilen, die ich zufällig wiedererkannt habe -«
    Thelma sagte: »Sie sagten, sie waren identisch?« und Kid versuchte vergeblich, mehr aus ihren Worten herauszuhören.
    »Oh, ich habe gesagt, ich hatte den Eindruck«, antwortete Frank, was nicht dem entsprach, erinnerte sich Kid mit obsessiver Klarheit, was er vorher gesagt hatte.
    »Das ist interessant«, überlegte Bill mit gesenktem Kopf, nur dunkles Haar und schwarzer Pullover. Er ging weiter.
    Die anderen folgten ihm unter die Brücke.
    Frank sagte: »An dem Abend hat er mir erzählt, er sei erst, ich glaube, seit ein paar Wochen Dichter. Ja, und dann war da dieses Notizbuch mit Gedichten - also zumindest die beiden, die ich mir näher angesehen habe -, die diesen beiden in seinem Buch sehr ähnelten.« Unter ihm hallten die Stimmen. »Was halten Sie davon?«
    Thelma (er konnte ihr Gesicht nicht sehen) ging als letzte unter die Brücke.
    »Also, Sie scheinen überzeugt davon zu sein, daß er sie plagiiert hat -« Echo verwischte die Identität der Stimme.
    »Ich glaube«, gab eine Stimme zurück, »er ist einfach ein netter - dumm möchte ich nicht sagen, eher non-verbaler -Typ, den es wahrscheinlich nicht sonderlich berührt, welche Bedeutung so etwas zukommt. Hölle, ich finde ihn nett. Trotz all dieser Typen mit den Ketten, die ihn irgendwie zu beschützen scheinen, möchte ich doch hoffen, daß er uns auch mag.«
    »Er hat dem Buch nicht seinen Namen gegeben«, sagte der Südstaatenakzent.
    »Oh, Frank, ich glaube, du bist einfach -«
    Kid mußte sich räuspern und verstand daher Ernestines letztes Wort nicht. (Lauf auf die andere Seite und hör zu, was sie beim Wiederauftauchen sagen . . .) Er sah den leeren Weg entlang.
    In dem Wald in Oregon in jenem Winter an seinem freien Tag, hatte sich von dem Stapel, auf den er klettern wollte, ein Holzscheit gelöst und war auf sein Bein gestürzt. Sein rechtes Hosenbein wurde aufgerissen, die Wade blutverschmiert. Er hatte gedacht, sein Schienbein sei gebrochen. Schließlich gelang es ihm, zu der Schutzhütte zurückzuhumpeln, eine viertel Meile weit - es hatte fünfundvierzig Minuten gedauert. Die ganze Zeit über hatte er gedacht: »Das tut mehr weh, als alles andere bisher in meinem Leben. Das tut so weh, als . . .« Als er die leere Hütte erreichte, klang der immer wieder wiederholte Gedanke wie eine Melodie, nicht mehr wie ein Gedanke; er hatte sich auf ein niedriges Bettgestell gesetzt - es gehörte einem Arbeiter namens Dehlmann -, den Gürtel geöffnet, die Hose herabgezerrt und in einer einzigen Bewegung von seinem -
    Er hatte nicht geschrien. Doch seine Lungen flatterten wie von selber im Brustkorb. Die nächsten zehn Minuten hatte er nur kleine keuchende Töne hervorgestoßen. Am Stoff angetrocknetes Blut und Hautfetzen hatten das Bein in der ganzen Länge aufgerissen. Schmerz schoß in Bereiche, deren Existenz ihm vorher nicht bekannt gewesen war. Als er wieder denken konnte, schien der immer noch kursierende Gedanke zusammen mit der Erinnerung an den geringeren Schmerz albern.
    Seine Hand fiel vom Geländer herab. Er dachte darüber nach (und aus irgendeinem Grund auch über den Namen des Mannes, auf dessen Bettgestell er mit blutendem Bein gesessen hatte) und versuchte, seine Reaktion auf Franks Kritik vor zehn Minuten zurückzurufen.
    Er konnte nicht beides in ein irgendwie gleiches Bild einpassen. (Sie nahmen es so leicht auf!) Er blinzelte zu dem verlassenen Weg hinab.
    Ich habe geschrieben . . .?
    Kids Augen brannten; er ging von der Brücke. Als er die Hand erhob, um sich durch das Gesicht zu wischen, blitzte Messing an ihm vorbei und hielt die Bewegung an.
    Ein Fuß stieß an irgend etwas, und er ging unsicher weiter.
    Ich kann mich erinnern, sie neu geschrieben zu haben!
    Ich erinnere mich, Zeilen ausgetauscht zu haben, um sie mehr - zu meinen zu machen?
    Kid blinzelte; um seine groben Finger bogen sich Klingen. Setzte der erste

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