Dhalgren
«
»Ich hab gewartet. Wo glaubst du, bin ich die ganze Zeit gewesen? Hey, das hier ist schimmelig.« »Oh, neeeeiiiin!« schrie Mrs. Richards.
»Nicht viel«, aus der Küche. »Nur ein kleines bißchen an der Ecke.«
»Geht er ganz durch?«
»Die zweite Scheibe. Und die dritte -«
»Oh, hör auf, es auseinanderzureißen!« rief Mrs. Richards, knuffte das Kissen, stand auf und folgte ihrem Sohn in die Küche. »Laß mich sehen.«
Vielleicht war es die beunruhigende Deutlichkeit in dieser Wiederholung; er sagte zu June: »Gestern abend, haben Sie -?«
In der Küche raschelte Cellophan.
Junes Augen weiteten sich schließlich, als sie im Türrahmen stehend ihn wiedererkannte. Unbeholfen legte sie ihren Zeigefinger auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen, wischte hin und her damit, noch einmal, bis die Geste jegliche Bedeutung verloren hatte.
Sie zwinkerte.
Das Cellophan raschelte.
Bobby kam heraus, setzte sich an den Couchtisch und zog die Zeitung auf den Schoß. Als er seine Schwester sah, warf er den Kopf in den Nacken, runzelte die Brauen und sah dann wieder in die Zeitung. Junes Hand arbeitete sich langsam an ihrem Pullover herab in den Schoß.
»Es geht durch«, verkündete Mrs. Richards, »das ganze Stück. Es ist zwar kein großes. Nun, in der Not frißt der Teufel Fliegen.« Sie kam ins Wohnzimmer. »Wir können es herausschneiden und unsere Sandwiches mit kleinen Löchern in der Mitte essen. Wir werden alle Fliegen essen, bis hier wieder alles klar ist, wißt ihr. Liest du schon wieder dieses Zeug?«
Mrs. Richards stemmte eine Faust in die Hüfte.
Bobby sah nicht hoch.
»Über was redet er denn heute?« fragte sie in sanfterem Ton. Die Faust fiel herab.
Er sagte: »Die Geschichte mit den beiden Monden gestern abend.«
»Was?«
June vermittelte. »Ich . . . ich habe dir doch erzählt, Mutter. Gestern abend, als ich ausging - «
»Oh, ja. Und ich habe gesagt, June, daß mir das gar nicht gefiel. Es gefiel mir überhaupt nicht. Wir gehen jetzt besser nach oben, Bobby?« Der grunzte lediglich.
»Einige Leute sagten, daß sie zwei Monde am Himmel gesehen hätten.« Er stand auf. »Einen von den beiden haben sie George genannt«, und sah nicht zu June, sondern auf Bobbys Hinterkopf; und wußte, daß June sowieso reagieren würde.
»Zwei Monde am Himmel?« fragte Mrs. Richards. »Wer hat denn das behauptet?«
»Sagt Calkins nicht«, murmelte Bobby.
»Der Typ, der den Artikel geschrieben hat, hat sie nicht gesehen«, sagte er zu Mrs. Richards.
»Zwei Monde?« fragte Mrs. Richards wieder. »June, als du kamst, hast du nichts darüber —« June hatte den Raum verlassen. »June, June, wir müssen nach oben!« »
Muß ich mitkommen?« fragte Bobby.
»Jawohl, du mußt!«
Bobby faltete geräuschvoll die Zeitung. »June!« rief Mrs. Richards wieder.
Er folgte Mutter und Sohn zur Tür, wo June wartete. Während Mrs. Richards zuerst das obere, dann das untere und schließlich das mittlere Schloß öffnete, glitten Junes Augen, absolut rund, über seine, flehten ihn an, schlossen sich.
»Jetzt haben wir's.«
Sie traten in den Flur und zwinkerten alle aus verschiedenen Gründen. Er folgte Mrs. Richards, bis sie verkündete, »Jetzt«, und fortfuhr: »Ich möchte, daß - wie heißen Sie? - Sie vorgehen.«
Es war überraschend einfach, »Kidd,« zu sagen, als er um die Kinder herumging.
»Wie bitte?« fragte Mrs. Richards. »Kidd. Wie Captain Kidd.« »Wie Billy the Kid?« fragte Bobby.
»Yeah.«
»Beide waren keine besonders angenehmen Leute«, sagte June.
»Der Cisco Kidd«, sagte Bobby. Dann mit hochgezogenen Brauen und kleinem Lächeln, merkwürdig, wie ein Dreißigjähriger: »Pow, pow . . .?«
»Hör auf, Bobby.«
Er ging neben Mrs. Richards. Ihre Absätze klapperten; seine Sandale lispelte, der nackte Fuß flüsterte kaum vernehmbar.
Als sie an die Fahrstühle gelangten, hörten sie über sich Geräusche. Sie blickten zur Treppenhaustür mit dem drahtdurchzogenen Glas und EXIT in roten Buchstaben darauf. Taumelnde Schritte kamen näher -
(Seine Hand preßte sich an den Schenkel, gegen ein Kettenstück) - kamen näher, bis Schatten an der Glastür vorbeigingen. Die Schritte wurden nach unten leiser.
Die Hand von Mrs. Richards, grau, wie Zweige vom Feuer, hing an der Wand neben dem Fahrstuhlknopf. »Kinder«, sagte sie. »Es müssen Kinder sein. Sie rennen im Treppenhaus rauf und runter, durch die Flure, klopfen an Türen, an Wände. Sie zeigen sich nicht, wissen Sie. Weil
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