Dhampir - Götterjagd
erreichte. In einem Regal an der Wand standen kleine Flaschen, Ampullen und Behälter aus Ton in verschiedenen Größen und Formen, alle mit Korken oder Deckeln verschlossen. Auf dem Tisch lagen in Leder gebundene Bücher und eine Schriftrolle an einer alten hölzernen Spindel.
Eine Armeslänge vom Torbogen entfernt blieb Chane stehen und starrte auf die Objekte.
Zuerst fiel es ihm schwer, einzelne Komponenten zu identifizieren. Kräuter, Blumenöl, Wachs, altes Leder, muffiges trockenes Papier und Pergamen t …
Er wollte nicht eintreten, aber er konnte sich auch nicht abwenden. Schließlich zwang er sich zu einem Schritt in den Raum.
Weitere kleine Tische standen an den Wänden, jeder von ihnen mit seinem eigenen Durcheinander aus Schreibutensilien, Ampullen, Gefäßen und Schriften. Chanes Blick fiel auf einen breiten Tisch am linken Ende des Raums, mit einem einfachen Stuhl dahinter.
Dies war ein Studierzimmer, vielleicht der Arbeitsraum des Klosteroberhaupts. Hinter dem Bücherregal an der rechten Wand bemerkte er eine graue Tür, die ein kleines Stück offen stand, als hätte es jemand zu eilig gehabt, sie zu schließen. Doch Chane wandte sich dem Schreibtisch zu, ging um ihn herum und blieb neben dem Stuhl stehen.
Lose Pergamente, zusammengeschnürte Papierbündel und uralte Schriftrollen lagen auf diesem Tisch. Chane sank auf den Stuhl und sah sich den Text direkt vor ihm an: ein Tagebuch, geschrieben in einem strawinischen Dialekt. Er blätterte, las verschiedene Einträge und fand ganze Kapitel in anderen Sprachen. Auch die Handschriften unterschieden sic h – das Tagebuch schien über viele Jahre hinweg von verschiedenen Personen geführt worden zu sein.
In diesem alten, in den Fels der Schlucht gehauenen Gebäude war ein Orden von Heilern zu Hause gewesen. Mönche, die den Lehren eines längst vergessenen Schutzheiligen folgten, eines Heilers, der vor langer Zeit auf diesem Kontinent unterwegs gewesen war. Dies war das Sanktuarium der Sluzhobnék Sútzits, der Diener des Erbarmens.
Chane sah sich in dem Raum um, und sein Blick kehrte zur grauen Tür neben dem Bücherregal zurück. Plötzlich begriff er, dass er nicht umkehren konnte, bevor er alles gesehen hatte. Er hob die Laterne, trat erneut um den Tisch und zog die graue Tür ganz auf. Mattes Licht fiel in den Bereich dahinter.
Bücherschränke standen in Reihen, mit den Schmalseiten an der Rückwand, sodass beide Seiten eines jeden Schranks genutzt werden konnten. Oben reichten sie bis zur Decke.
Die Bibliothek war nicht besonders groß, kaum größer als die in den Herrenhäusern, die Chane zu Lebzeiten gesehen hatte. Aber hier ruhten keine hübsch gebundenen Bücher, die meisten von ihnen ungelesen. Nein, hier wirkte alles alt und ehrwürdig, sorgfältig bewahrt und geordnet. Schriftrollen aus brüchigem Papier steckten in schützenden Zylindern, und lederne Hüllen umgaben abgegriffene Bücher. Hier war alles über viele Jahrhunderte hinweg benutzt worden und wurde weiter verwendet, geschätzt und gehütet.
Chanes Blick strich über Papierbündel, Buchrücken und verblichene Etiketten an Schriftrollen-Zylindern. Er wählte einige aus, die in Belaskisch oder Neustrawinisch geschrieben waren.
Die ersten Texte trugen Titel wie Destillation und Infusion und Gewürze der sumanischen Länder: Eigenschaften, überprüfte und angebliche . Mit Mühe entzifferte er Die frühen Werke von Meister Ewar Woskôwiskän , dann ein dünnes Buch mit dem Titel Die sieben Blätter von … Das letzte Wort war nicht klar. Schließlich fand er einen Kasten, der mehrere zueinandergehörende Bände enthielt und die Aufschrift trug: Antithesen, mit Kommentaren, Band 1 bis 8.
Chane wich zurück, bis er mit der Schulter an den Türrahmen stieß. Er taumelte in den anderen Raum und rutschte an der Wand herunter zu Boden. Die Laterne löste sich aus plötzlich kraftlosen Fingern, fiel zu Boden und kippte um. In ihrem Innern spritzte flüssiges Wachs ans Glas, und die Flamme ging aus.
Wie oft hatte sich Chane vorgestellt, in Wynns Welt zu leben, einer Welt des Intellekts und des Wissens? An einem Ort wie diesem, in einem kleinen, vergessenen Kloste r – bis eines Abends ein Ungeheuer hereingekommen war, Chaos und Tod gebracht hatte.
Chane zog die Beine an und presste die Hände an die schmerzenden Schläfen. Er ertrank in Kummer und konnte doch keine einzige Träne vergießen.
Tote konnten nicht
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