Dhampir - Seelendieb
waren ihm so viele Versionen der Geschichte zu Ohren gekommen, dass seine Erheiterung nachgelassen hatte und er sie nicht mehr hören konnte. In letzter Zeit wurde sie nur noch selten wiederholt. Doch als Toret jetzt auf die Nachricht starrte, überlegte er fieberhaft. Niemand wusste von seiner Zeit in Miiska. War vielleicht noch jemand anders die Flucht gelungen?
Und wenn der Wüstenkrieger Rashed überlebt hatte und seinen Spuren nach Bela gefolgt war, um ihn erneut unter seinen Befehl zu zwingen?
Dieser aufgeblasene, arrogante, im Sand geborene Sohn eine r … Bilder des großen, perfekten sumanischen Untoten verdrängten alle Gedanken und wischten Torets Verachtung fort. Rashed mit seinen kristallblauen Augen, so ungewöhnlich für das Volk der Sterblichen, aus dem er stammte. Sein lächerlicher Ehrenkodex und seine Fähigkeit, das Kommando zu führe n … Die Vorstellung, dass Saphir unter den Einfluss eines solchen Mannes geriet, schuf tiefes Unbehagen in Toret.
Wie lange dauerte es noch bis zum höchsten Stand des Mondes?
»Chane«, sagte er schnell, »hol den Mantel deiner Herrin und bring sie zu dem Lokal ihrer Wahl.«
Saphir runzelte kurz die Stirn, doch dann erhellte sich ihre Miene. Toret wusste, dass sie von Chanes Gesellschaft nicht viel hielt, aber wenigstens konnte sie ihr neues Gewand in der Stadt tragen. Chane zögerte.
»Sofort!«, fügte Toret scharf hinzu.
Wieder zuckte es in Chanes Gesicht, und er warf seinem Gebieter einen finsteren Blick zu, ging dann aber in Richtung Foyer.
»Ich will keinen Mantel«, nörgelte Saphir. »Er zerknittert mir das Kleid.«
»Ohne würdest du seltsam aussehen«, sagte Chane. » Damen tragen Mäntel.«
»Wenn ich einen modischen Rat von dir möchte, frage ich dich«, erwiderte Saphir schnippisch.
»Er hat recht«, sagte Toret. »Zieh den Mantel an.«
Saphir gehorchte und nahm den Mantel von Chane entgegen.
»Beeilt euch«, drängte Toret. »Die Nacht ist halb vorbei. Es dauert nicht mehr lange, bis die Tavernen schließen.«
Chane warf einen argwöhnischen Blick auf ihn und das gefaltete Papier. Toret steckte es in die Hemdtasche, nahm Saphirs blasse Hand und hauchte einen Kuss darauf.
»Bring interessante Geschichten mit, mein Schatz.«
Saphirs Antwort bestand nur aus einem unsicheren Lächeln. Sie wusste nicht recht, ob sie Toret böse sein sollte, weil er sie mit Chane wegschickte, oder zufrieden darüber, dass sie ihren Willen durchgesetzt hatte.
»Ich muss ein teures Lokal besuchen, damit man dieses Gewand richtig zu schätzen weiß. Etwas mehr Geld wäre hilfreich.«
Torets Unruhe wuchs und verwandelte sich in Furcht. Rasch nahm er den Beutel von seinem Gürtel und drückte ihn Saphir in die Hand. »Hier. Das sollte mehr als genug sein.«
Sie quiekte entzückt und stolzierte hinaus. Chane folgte ihr.
»Gib gut auf sie acht!«, rief Toret ihm nach, und dann war er allein.
Ihm blieb kaum Zeit zum Nachdenken. Vielleicht hatte er absurde Schlüsse gezogen. Die Gerüchte über das Ende der Untoten von Miiska stimmten in den Einzelheiten meistens überein. Alles deutete darauf hin, dass Rasheds rußgeschwärzte Knochen in der Asche der Taverne lagen, die der verdammten Jägerin gehört hatte. Aber wenn Rashed wirklich tot wa r – von wem stammte dann die Nachricht? In dieser Stadt wusste niemand, dass er aus Miiska kam.
Es klopfte an der Eingangstür. Toret zögerte.
Trotz seiner Überlegungen rechnete er halb damit, dass die Tür aufschwang und Rashed hereinkam. Rattenjunge wäre zur Hintertür gelaufen, aber Toret ließ sich nicht aus seinem eigenen Revier vertreiben, Rashed zum Trotz! Er ging zur Tür, schloss die Hand fest um den Knauf und öffnete.
Ein Fremder stand vor ihm. Der Mann war größer als Toret, aber nicht annähernd so groß wie Rashed. Er schien in mittleren Jahren zu sein, hatte ein scharf geschnittenes Gesicht und weiße Flecken an den Schläfen. Ein teurer, schwarzer Mantel umhüllte ihn.
»Guten Abend«, sagte er mit kultiviert klingender Stimme. »Danke dafür, dass du deine Begleiter weggeschickt hast. Ich bringe Neuigkeiten in Bezug auf deine Vergangenheit, die sie sicher nicht hören sollen.« Er zögerte und musterte Toret. »Du hast dich sehr verändert. Darf ich hereinkommen?«
Offenbar kannte ihn der Fremde, was Toret überraschte. Unschlüssig stand er in der Tür, aber schließlich setzte sich die Neugier durch. Woher kannte ihn dieser Mann? Wenn ihm die Sache zu bunt wurde, konnte er ihn jederzeit töten
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