Dhampir - Seelendieb
Eigentum war auf die Stadt übergegangen, und das Gebäude stand seit fast einem Jahr zum Verkauf, als Toret es erwarb. Eins seiner Vorzüge bestand aus einem Geheimgang hinter der Wand der Treppe gegenüber, woraus sich die Frage ergab, welchen Zweck er für den Kaufmann erfüllt hatte. Wie auch immer die Antwort lauten mochte, eins hatte Toret bei Rashed gelernt: die absolute Notwendigkeit alternativer Fluchtwege. In jeder Etage gab es beim Treppenabsatz einen verborgenen Zugang zu dem Geheimgang, und alle drei Bewohner des Hauses wussten davon.
Torets und Saphirs Zimmer befanden sich im zweiten Stock, und somit stand der erste Stock leer. Das Erdgeschoss enthielt den luxuriösen Salon, das Esszimmer und die Küche. Der Hauptbereich des Kellers diente ihnen als Übungsraum für den Schwertkampf, und in einem kleineren Zimmer dahinter bewahrte Chane seine Dinge auf.
Saphir wandte sich vom Spiegel ab, sah Toret an und strahlte.
»Gehen wir heute Abend aus? Ich möchte mich in diesem Kleid zeigen.«
»Wir sind gestern Abend auf die Jagd gegangen. Niemand von uns braucht Nahrung.«
Saphirs Lächeln verblasste. »Ich habe nicht von Nahrung gesprochen, oder? Ich habe gesagt, dass ich mich in meinem neuen Kleid zeigen möchte.«
Einfach nur »ausgehen« fand Toret langweilig, doch er wusste: Wenn er ablehnte, würde sie die ganze Nacht schmollen und vielleicht irgendwelche Dinge an die Wand werfen. Aber er wollte lieber zu Hause bleiben.
»Was ist mit dir, Chane?«
Sein Diener schien in Gedanken versunken zu sein, doch die letzten Worte weckten plötzlich seine Aufmerksamkeit. Für einen Moment huschte so etwas wie Furcht über sein Gesicht.
Toret starrte ihn an. Vermutlich fand Chane ebenso wenig Gefallen daran wie er, Saphir auszuführen, damit sie sich vergnügen konnte. Aber sein Gesicht zeigte kaum etwas anderes als Langeweile. Es sei denn, er jagte, und dann gab es Augenblicke, in denen er sogar Toret überraschte.
Chane straffte seine Gestalt und verschränkte die muskulösen Arme.
»Ich wollte in dieser Nacht einige Studien zu Ende führen, Herr.« Chanes Finger tasteten über eine kleine Messingkapsel an seiner Halskette.
Saphirs Schmollen steuerte auf einen Wutausbruch zu.
»Ja, ja«, sagte Toret schnell. »Aber das kann warten. Deine Herrin möchte unterhalten werden, und du möchtest doch nicht, dass sie unglücklich ist, oder?«
Eigentlich brauchte er nur einen direkten Befehl zu geben, doch Toret hatte es immer verabscheut, herumkommandiert zu werden, und deshalb versuchte er, so etwas zu vermeiden.
Chane blinzelte, und sein Blick wanderte zwischen Toret und Saphir hin und her. Er wollte etwas sagen, als es plötzlich an der Tür klopfte.
Toret runzelte die Stirn. Sie gaben sich als landlose Adlige aus und hatten einige Kontakte geknüpft, die dieser Rolle gerecht wurde n – einige von ihnen sogar im Stadtra t – , aber es war sehr unwahrscheinlich, dass eine der betreffenden Personen hierherkam. Wahrscheinlich handelte es sich um eine weitere Lieferung für Saphir. Toret hatte versucht, ihr Einhalt zu gebieten, aber je mehr Geld sie in die Finger bekam, desto mehr Schmuck und Kleidung kaufte sie.
»Würdest du dich bitte darum kümmern, Chane?«, sagte Toret.
»Ich wollte mich gerade in mein Zimmer zurückziehen, um die Studien fortzusetzen«, antwortete der große Diener.
Chanes mürrisches Wesen war zurückgekehrt, und Toret gab seinem Ärger nach.
» Geh zur Tür «, sagte er langsam.
In Chanes Gesicht zuckte es kurz, und Toret beobachtete, wie er sich sofort wieder fasste und ins Foyer ging. Kurze Zeit später kehrte Chane zurück und reichte ihm ein zusammengefaltetes, mit Wachs versiegeltes Papier.
»Dies wurde für dich abgegeben, Herr.«
Eine Nachricht? Toret war versucht, sie von Chane vorlesen zu lassen, aber er fürchtete, dass ihn so etwas schwach aussehen ließ. Er brach das Siegel, entfaltete das Papier und bemühte sich, die wenigen Worte zu entziffern.
Ich komme mitten in der Nacht und bringe Informationen über deine Vergangenheit in Miiska. Sei allein.
Eine Unterschrift fehlte.
»Was ist?«, fragte Saphir. »Eine Einladung? Findet eine Party statt?«
ToretkonntenichtbesondersgutlesenundsahsichdieWortenocheinmalan,umallesrichtigzuverstehen.Unruheerfassteihn.
In den Gasthöfen und Tavernen am Hafen erzählte man sich, dass eine »Jägerin« in Miiska alle Untoten der Stadt vernichtet hatte, was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Toret hatte überlebt. Inzwischen
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