Dhampir - Seelendieb
weite, ausgewaschene Hose, weiche Stiefel und ein altes, zu oft geflicktes Hemd. Er schien unbewaffnet zu sein, doch dieser Eindruck täuschte. Magiere wusste um die Stilette in den Scheiden an seinen Unterarmen, und vielleicht waren auch noch an anderen Stellen Klingen versteckt. Das grüne Tuch bedeckte sein Haar und die Spitzen der Ohren. Sie waren oft durch Bela gekommen, hatten dabei aber nie jemanden aus dem Volk von Leesils Mutter gesehen. Er zog es vor, seine Abstammung nicht zu deutlich zu zeigen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Das ist noch nicht nötig«, sagte Magiere und deutete auf das Tuch. »Wir sind noch nicht an Bord des Schiffes.«
»Ich übe nur ein wenig, was meine Tarnung betrifft«, erwiderte er. »Das gibt mir etwas zu tun.«
Bei einer anderen Gelegenheit hätte Magiere gelächelt, das Gesicht verzogen oder vielleicht auf seine seltsam gefärbten Augen hingewiesen, die nicht zu verbergen waren. Doch an diesem Morgen konnte sie mit Leesils Humor nichts anfangen. Seit dem Abend am Kamin hatten sie kaum miteinander gesprochen. Jetzt brachen sie nach Bela auf, wo sie, Magiere, vielleicht wieder zum Dhampir werden würde. Wenn sie erneut die Kontrolle verlor und sich Leesil in der Nähe befan d …
Magiere schob diesen Gedanken beiseite. Sie wünschte sich, er wäre dieses eine Mal ernst gewesen und hätte ihr ganz offen gesagt, was ihm durch den Kopf ging. Er war fast ebenso verspielt und neckisch wie in all den Jahren in der strawinischen Provinz. Offenbar freute er sich auf die Reise, auf ein Abenteue r … auf eine Abwechselung vom Leben im »Seelöwen«.
Magiere blickte über die lange Anlegestelle, zu den Kähnen und kleineren Schiffen, die auf Fracht warteten.
»Hallo!«, erklang eine Stimme, und Magiere drehte sich um. Karlin lief auf sie zu.
Sie freute sich, ihn zu sehen, obwohl sie das unter den gegenwärtigen Umständen nicht zugegeben hätte. Er repräsentierte die Dinge, die sie an ihrem neuen Leben in Miiska zu schätzen wusste. Sein offenes, großzügiges Wesen und seine ruhige Kompetenz gaben ihr Vertrauen in die Welt und zu den Menschen.
Chap hörte Karlins Stimme und lief ihm entgegen, wurde an der Seite des Bäckers aber unruhig und sah zum näher kommenden Ruderboot.
»Du auch?«, fragte sie leise.
Leesil blinzelte. »Wie meinst du das?«
»Schon gut«, sagte Magiere.
»Wir sind gekommen, um euch zu verabschieden«, schnaufte der außer Atem geratene Karlin. Butter hatte Flecken an seiner Schürze hinterlassen, und an einigen Stellen klebte Mehl.
»Wir?«, fragte Magiere.
Ein Stück hinter ihm kam Loni über den Kai. Der Wind zog an seinem langen Haar, wodurch die spitzen Ohren zum Vorschein kamen. Zusammen mit seinem schmalen dreieckigen Gesicht und den schrägen, bernsteinfarbenen Augen ließen sie ihn seltsam wirken, wie von einer anderen Welt. Loni ging auf sie zu und ergriff Magieres Hand.
»Danke«, sagte er ernst und zeigte jetzt ein ganz anderes Gebaren als bei ihrer letzten Begegnung. »Wir alle wissen deine Entscheidung zu schätzen.«
Magiere nahm seine Worte ungerührt entgegen und zog die Hand zurück.
»Ich tue es nicht für dich.«
Loni nickte unverdrossen. »Ich danke dir trotzdem.«
»Ja, ja«, sagte Karlin. Er sah Magieres Begleiter an und ahmte ihn nach, indem er sich halb verbeugt e – auf diese Weise versuchte Leesil manchmal, anderen Leuten ein Schmunzeln zu entlocken. »Wir danken euch beiden. Ihr ahnt nicht, wie dankbar wir euch sind. Erneut kommt ihr Miiska zu Hilfe.«
Er klopfte Chap auf den Rücken und trat vor, um Magiere zu umarmen. Sie sah, dass Leesil einen finsteren Blick auf Karlin richtete, der davon jedoch gar nichts zu bemerken schien und die Arme um sie schlang.
Sein großer, massiger Leib versprach Geborgenheit. Es lag Magiere nichts daran, ihn und die Stadt zu verlassen. Karlin hielt sie einige Sekunden lang fest, bevor er sich von ihr löste.
»Wir kehren so bald wie möglich zurück«, sagte Magiere und versuchte zu lächeln. »Mit dem Geld für den Wiederaufbau des Lagerhauses.«
Karlin klopfte ihr auf die Schulter, und seine Augen glänzten feucht.
»Dies hier könnt ihr sicher gut gebrauchen«, sagte er und reichte Magiere einen kleinen Beutel. »Etwas Geld für die Reise. Es ist der Rest unserer Gemeinschaftsmittel, aber eure Reise ist eine Investition. Nein, nein«, fügte er hinzu, als Magiere den Beutel zurückweisen wollte. »Ihr braucht Essen, Unterkunft und wer weiß was sonst noch. Nimm den Beute
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