Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
Verbindung zu bringen und zu verstehen.
Neue Übelkeit erfasste sie.
Sie stand auf und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu wahren. Die Kopfschmerzen wurden noch stärker, und der Würgreiz kehrte zurück. Sie drückte die Hand auf den Mund und fürchtete für einen Moment, das Wasser zu erbrechen, das sie gerade getrunken hatte. Dann hörte sie leise Stimmen jenseits der breiten Tür aus Eichenholz.
Wo befand sie sich? Sie vermutete, dass Chane für sie ein Zimmer in einem Gasthaus besorgt hatte, und es schien Tag zu sein, denn immerhin lag er auf dem Boden und schlief. Wynn schob den Riegel beiseite und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
Zwei Türen weiter führte der Flur in einen offenen Bereich. Dort stand eine dickliche Zwergin, die eine Schürze trug und einen Strohbesen in der Hand hielt. Sie schwatzte mit einem jungen Zwerg, der hinter einem sehr stabil wirkenden Tisch saß.
»Entschuldigung«, rief Wynn, und der schreckliche Geruch des eigenen Atems führte fast dazu, dass sie erneut würgte. »Könntet ihr mir sagen, wie spät es ist?«
Der junge Mann am Tisch beugte sich zur Seite, sah an der Zwergin vorbei und wölbte erstaunt die buschigen Brauen.
Wynn fühlte erneut Hitze in den Wangen, aber diesmal vor Verlegenheit – sie musste schlimmer aussehen, als sie gedacht hatte.
Der Zwerg ließ die Überraschung aus seinem Gesicht verschwinden und gab höfliches Desinteresse vor.
»Ja, Fräulein, es ist kurz nach Anfang von Tagwinter.«
»Danke.«
Wynn wich zurück und schloss die Tür. Wie konnte sie bis zum Nachmittag geschlafen haben?
Sie hatte nur eine wohlgesonnene Kontaktperson in ganz Dhredze Seatt: Shirvêsh Klöpfel in Buchtseite, auf der anderen Seite des Berges. Wenn sie sich mit neuen, vorsichtig formulierten Fragen an den alten Shirvêsh wandte … Vielleicht gab er ihr dann einen Hinweis darauf, wie sie die Steingänger finden konnte. Und wenn nicht … Möglicherweise half er ihr dabei, sich bei Splitter zu entschuldigen und doch noch Auskunft von ihr zu bekommen.
Die Zwerge waren ein Volk mit alten Traditionen, die in Regeln und Ritualen der Clans und Stämme Ausdruck fanden. Ja, derzeit bot Shirvêsh Klöpfel den besten Ansatzpunkt.
Wynn ging in die Hocke und klopfte auf den Boden, um Schattens Aufmerksamkeit zu wecken. Die Hündin sah sie einfach nur an, und daraufhin streckte sie die Hände aus. Schatten näherte sich, und Wynn nahm ihre Schnauze in beide Hände und rief Erinnerungen an den Tempel ab. Bevor sie sich auf ein Bild der Tram konzentrieren konnte, wich Schatten zurück und knurrte.
»Ich weiß, dass es schrecklich war«, sagte Wynn leise. »Aber wir müssen zurück.«
Chane lag noch immer völlig reglos. In der Gilde hatte er in einem Bett in il’Sänkes Quartier geschlafen, und Wynn hatte nur gelegentlich einen Blick in jenes Zimmer geworfen. Bisher waren sie bei ihrer Reise in verschiedenen Räumen untergebracht gewesen, und deshalb hatte sie ihn nie in diesem Dämmerzustand gesehen. Der Anblick beunruhigte sie, aber wenigstens spielte die Sonne im Innern des Berges keine Rolle.
Wenn sie sich jetzt auf den Rückweg machten, würden sie Buchtseite am frühen Abend erreichen und im Tempel nicht lange nach dem Abendessen eintreffen – eine gute Zeit, um mit Shirvêsh Klöpfel zu reden.
Wynn versuchte den pochenden Kopfschmerzen keine Beachtung zu schenken, als sie sich Chane näherte.
Sie verharrte neben seiner Schulter, blickte auf ihn hinab und hatte fast das Gefühl, seine Privatsphäre zu verletzen. Vielleicht hätte es ihm nicht gefallen, dass sie ihn in diesem Zustand beobachtete, während er wie endgültig tot auf dem Boden lag.
Chane war ein stolzer Mann, und tief in ihrem Innern wusste Wynn, dass er ihr auch deshalb gefiel, wegen seines Stolzes. Die fernen Abende in Bela fielen ihr ein, im neu gegründeten Zweig der Weisengilde, als Chane zu Besuch gekommen war; sie hatten gemeinsam Pfefferminztee getrunken und historische Pergamente gelesen. Ein attraktiver junger Adliger, der Gefallen daran fand, Zeit mit ihr zu verbringen … Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt.
Später dann hatte sie die Wahrheit über ihn erfahren.
Er war ein Vampir, der Blut trank, um zu existieren. Wynn hatte ihn aus ihrem Leben verbannt, aber anschließend war sie mehrmals in große Gefahr geraten und von ihm gerettet worden. Als ein brutaler Kriegsherr sie gefangen genommen hatte, war Chane in die Festung gekommen, hatte mehrere Soldaten getötet und sie durch einen
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