Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
zu bestehen.
Es saßen nur wenige andere Passagiere in dem Wagen, und deshalb konnte Wynn sich vorbeugen und den Kopf auf die Rückenlehne der nächsten Sitzbank stützen. Sie gab sich alle Mühe, nicht zu würgen, während die unter der Bank liegende Schatten immer wieder leise jaulte. Nur Chane blieb still.
Die Zeit verging viel zu langsam. Wynn versuchte, an etwas anderes zu denken als daran, wie schlecht sie sich fühlte. Ihre Gedanken kehrten zu Chane zurück.
Was hatte er mit dem Hinweis gemeint, dass nur Lebende schliefen?
»Chane …«, flüsterte sie, und selbst das fiel ihr schwer. »Die Edlen Toten … Träumen sie, wenn sie schlafen … oder ›dämmern‹?«
Zuerst antwortete er nicht. Schließlich richtete er sich auf, um unmittelbar darauf wieder zurückzusinken.
»Wynn?«, krächzte er und sah sich verwirrt aus halb geöffneten Augen um. »Wo sind wir? Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er schien wieder er selbst zu sein, und das erleichterte Wynn. Offenbar war draußen, in der Welt jenseits der Tunnel, die Sonne untergegangen, obwohl es immer dunkel blieb. Chane runzelte die Stirn und streckte die Hand aus, um ihr zu helfen, sich zurückzulehnen.
»Nein«, brachte Wynn hervor. »Es ist nicht alles in Ordnung mit mir. Lass mich einfach so sitzen.«
Sie schwiegen wieder und lauschten dem Rasseln der Tramwagen und dem rhythmischen Klacken der Räder auf den Schienen. Irgendwann verwandelte sich das Klacken in ein leises Quietschen; die Tram wurde langsamer und hielt schließlich.
Helles Licht von großen Kristallen an den Wänden fiel auf die Haltestation von Buchtseite.
Chane versuchte, Wynn aufzuhelfen. Sie wich zurück und griff nach Rucksack und Stab.
»Ich komme allein zurecht.«
Kurze Zeit später erreichten sie die Markthöhle, und Wynn schnitt eine Grimasse, als sie die lauten Stimmen von Händlern und Kunden hörte. Nie zuvor hatte sie sich so schlecht gefühlt, nicht einmal am Morgen nach der Hochzeit von Magiere und Leesil. Chane führte sie durch die große Kaverne.
Später erinnerte sich Wynn daran, nach draußen in die kalte Nacht getreten zu sein und die Rückseite des Kurbelhauses gesehen zu haben. Sie erinnerte sich daran, dass Schatten über eine von dampfenden orangeroten Kristallen erhellte Straße gelaufen war und dass Chane sie gestützt hatte, während sie der Hündin gefolgt waren, aber der Rest blieb schemenhaft.
Sie vergaß ihre Absicht, mit Shirvêsh Klöpfel zu reden. Irgendwann erreichten sie den Tempel und passierten die breite Marmortür – diese Details fielen Wynn erst wieder ein, als sie sich in einem kleinen Zimmer befand und dort auf ein hartes Bett sank. Chane zog ihr die Decke bis zum Kinn hoch.
Er setzte ihr eine Tasse mit Wasser an die Lippen, aber sie trank nur einen Schluck.
»Vor dem Morgengrauen sehe ich nach dir«, krächzte er.
Die kleine Welt des Zimmers wurde dunkel, und bevor Wynn einschlief, fragte sie sich erneut: Träumen Tote?
Chane spürte Schattens kalten Blick, als er Wynns Zimmer verließ. Er war hungrig und benommen. Normalerweise wurde sein Dämmern nicht unterbrochen, und er fühlte sich wie damals zu seinen Lebzeiten, wenn es ihm an Schlaf gefehlt hatte.
Dadurch fühlte er sich schwach, was ihn umso hungriger machte.
Als er in den Flur trat, sah er Shirvêsh Klöpfel, der ihm entgegenkam. Er stöhnte innerlich; derzeit stand ihm nicht der Sinn nach höflicher Konversation.
»Wie ich hörte, ist die junge Wynn krank«, sagte der Zwerg. »Braucht sie Hilfe?«
Chane versuchte gerade zu stehen. Die direkte Frage war willkommen, denn er konnte Wynn nur Wasser geben und sie schlafen lassen.
»Sie hat Zwergenbier getrunken, zu viel davon, im Begrüßungshaus von Meerseite«, krächzte er. »Sie hat sehr darunter gelitten.«
»Oh, meine Güte!«, entfuhr es dem Shirvêsh. »Was dachte sie sich nur dabei? Und du hast sie getragen? Was hast du dir dabei gedacht?«
Chane verzichtete auf eine scharfe Antwort. »Sie hat darauf bestanden, hierher zurückzukehren«, sagte er stattdessen und versuchte höflich zu klingen. »Das konnte ich ihr nicht verweigern.«
Klöpfel nickte. »Ich hole spezielle Kräuter für Tee, um ihr Blut zu reinigen. Einige Tage wird sie recht schwach auf den Beinen sein.« Er schüttelte den Kopf. »Zwergenbier ist nichts für eine so zarte Numanerin. Jemand hätte sie daran hindern sollen, es zu trinken!«
Ja, in der Tat, dachte Chane.
»Ruh dich aus, Junge«, fügte Klöpfel hinzu.
Chane nickte, von der
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