Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
fragte sie.
»Es ist Zeit«, sagte er sanft und machte einen Schritt nach vorn, zögerte dann aber und blieb reglos stehen.
»Was ist?«, fragte Reine.
Chuillyon blinzelte, drehte den Kopf und schaute in den Tunnel zurück, durch den sie gekommen waren. Eine seiner fedrigen weißen Brauen wölbte sich. Dann lächelte er plötzlich und schüttelte den Kopf.
»Ich werde zu alt«, murmelte er. »Die Gedanken schweifen ab.«
Ja, manchmal war der alte Chuillyon ein wenig seltsam.
Reine verdrängte alle Gefühle und nahm ihre ganze Kraft zusammen. Dann trat sie mit dem Elfen durchs Portal und sah nicht zurück, als sich die drei Türen hinter ihr schlossen.
»Wir können ihnen noch nicht folgen!«, flüsterte Wynn. »Nicht ohne Schatten.«
Chane schnitt eine finstere Miene.
Sie konnten kaum miteinander sprechen, ohne dass jemand mithörte. Die Sitzreihen leerten sich, und das Publikum verließ das Amphitheater, aber überall waren Zwerge damit beschäftigt, Tische und Bänke für die bevorstehende Totenwache aufzustellen. Wynn versuchte, niemandem im Weg zu sein, während sie nach Schatten Ausschau hielt.
Immer wieder dachte sie an Hammer-Hirschs bleiches Gesicht. Es wies zu deutlich darauf hin, wie er gestorben war. Befand sich abgesehen von Chane noch ein anderer Edler Toter in der Nähe?
»Wer war die Frau?«, fragte Chane.
»Eine Königliche aus Malourné!« Wynn atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. »Die Herzogin … Ich meine, Prinzessin Reine, Witwe des Prinzen Freädherich. Sie hat sich große Mühe gegeben, Hauptmann Rodians Ermittlungen zu behindern und dafür zu sorgen, dass Premin Skyion die Kontrolle über die Texte behielt. Wenn sie mich hier sieht …«
Wynn sprach den Satz nicht zu Ende und sah, wie Chane die Stirn runzelte.
Dies war schwer zu erklären. Er hatte die Mordermittlungen nicht aus nächster Nähe erlebt, so wie sie. Mehr als einmal war sie gegen unüberwindliche Hindernisse gestoßen. Die Herzogin hatte Wynn daran gehindert, in die Nähe der Texte zu gelangen.
Was machte Herzogin Reine an diesem Ort? Und wohin war Schatten verschwunden?
»Achtung!«, rief ein junger Zwerg und hielt das Ende eines schweren Tisches über den Kopf.
Wynn wich zur Seite und zog Chane mit sich. Hatte Schatten etwas in ihren Gedanken gesehen, eine aufsteigende Erinnerung? War sie losgelaufen, um den Steingängern auf eigene Faust zu folgen? Und wenn ja, in welche Richtung hatte sie sich gewandt?
Sie sah sich um und suchte nach anderen Öffnungen in den Seitenwänden unter den Sitzreihen, und dann bemerkte sie Klöpfel. Der alte Shirvêsh sprach mit Mönchen von anderen Tempeln, und Wynn fragte sich, welche Protokollregeln in diesem Fall galten. Das Bankett war für Familienangehörige, enge Freunde und bestimmte Thänæ vorgesehen. Sie alle würden essen und trinken und erzählen, um Hammer-Hirsch zu ehren. Doch aus einigen Gesprächsfetzen, die Wynn hörte, ging hervor, dass sich Klöpfel verabschiedete.
»Er wird gleich gehen«, flüsterte sie. »Und wir müssen das Amphitheater mit ihm verlassen!«
Chane richtete sich zu seiner vollen Größe auf und hielt Ausschau.
»Dort«, sagte er und nickte in eine Richtung. »Folge mir langsam.«
Er wich zur einen Seite des Amphitheaters und einer Öffnung, nicht weit von dem Tunnel entfernt zurück, durch den sie gekommen waren. Wynn schloss sich ihm an.
Zusammen wanderten sie an der Wand entlang und machten fleißigen Zwergen Platz. Als sie die Öffnung erreichten, duckte sich Wynn vor Chane hinein und fand sich in einem halbdunklen Zimmer wieder. Sie konnte gerade so die Umrisse quadratischer Öffnungen in den anderen drei Wänden erkennen.
»Oh, bei den sieben Höllen!«, fluchte sie.
Welchen Tunnel hatte Schatten gewählt, wenn sie überhaupt hierher gekommen war? Wynn holte ihren Kaltlampen-Kristall hervor und rieb ihn, um ein wenig Licht zu haben.
»Gib acht«, sagte Chane. »Wir sollten keine Aufmerksamkeit erregen.«
Eine solche Mahnung wäre gar nicht nötig gewesen. Wynn hielt den Kristall in gewölbten Händen und trat weiter in den Raum.
In den Öffnungen direkt voraus und auf der rechten Seite sah sie recht stabil wirkende Holztüren, ausgestattet mit dicken Eisenriegeln, aber nicht mit Schlössern. Schatten wäre sicher nicht in der Lage gewesen, eine solche Tür zu öffnen und dann wieder zu schließen. Doch im Torbogen auf der linken Seite gab es keine Tür.
Wynn trat hindurch und fand sich am unteren Ende einer
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