Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
kurzen Treppe wieder. Oben führte ein schmaler Gang nach rechts, offenbar in Richtung Theaterbühne, nicht davon weg. Sie hielt den Kristall in einer Hand, wandte sich ab und lehnte die Schulter an die Wand des dunklen Raums.
»Dies hat keinen Zweck«, sagte sie. »Wir sollten warten, bis Schatten zurückkehrt.«
Chane stand im Eingang des Raums und sah nach draußen. »Was ist, wenn Klöpfel uns vermisst?«
»Dann sagen wir, dass wir uns ein wenig umgesehen und dabei verlaufen haben.«
Chane richtete einen verärgerten Blick auf sie. »Dies könnte unsere einzige Chance sein. Wie oft stirbt ein Thänæ?«
Ja, wie oft?
»Ich kann nicht riskieren, dass mich die Herzogin sieht!«
Dass sie Schatten verloren hatten, war ihre Schuld. Ihre ständigen Fehler führten nach und nach dazu, dass sie jede Möglichkeit verloren, wieder an die alten Texte zu gelangen.
Chane sah erneut nach draußen und ließ Wynn mit ihrem inneren Aufruhr allein. Dann schnippte er mit den Fingern und deutete dorthin, woher sie gekommen waren. Wynn steckte ihren Kristall ein und näherte sich ihm.
»Dort«, flüsterte er. »Beim Tunnel, durch den wir hereingekommen sind.«
Wynn sah in die entsprechende Richtung.
Schatten stand dort und blickte zum Amphitheater.
»Schatten!«, rief die junge Weise mit gedämpfter Stimme. »Hierher!«
Doch die Hündin schien sie nicht zu hören. Das Aufstellen der Tische und Sitzbänke für das Bankett der Totenwache machte zu viel Lärm.
Ein plötzlicher Pfiff ließ Wynn zusammenfahren, und erschrocken drehte sie sich um.
Chane pfiff erneut, und als Wynn rasch wieder den Kopf drehte, hatte Schatten die Ohren aufgerichtet. Wynn ging in die Hocke und winkte der Hündin zu, woraufhin Schatten an der Wand entlangschlich, bis sie den Eingang des dunklen Raums erreichte. Wynn sank erleichtert auf die Knie.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie und griff nach Schattens Schnauze.
Eine lange rötliche Zunge leckte ihr über die Finger.
Gleichzeitig kam eine ganze Flut von Bildern, so plötzlich, dass Wynn auf den Knien wankte. Ganz deutlich sah sie mit Schattens Augen.
Zuerst beobachtete sie, wie die Steingänger Hammer-Hirschs Leiche durch den Tunnel hinter der Bühne trugen, und dann sah sie sich selbst, wie sie auf dem Boden des Amphitheaters stand und mit Chane sprach. Es war ein beunruhigender Anblick, als wäre sie zu einem Geist geworden, von ihrem Körper getrennt. Kurz darauf bewegte Schatten sich wieder und huschte durch einen Wald aus Zwergenbeinen.
An der Wand begann sie mit der Untersuchung von Abflussöffnungen, die aber zu klein waren, um hineinzukriechen. Noch seltsamer als diese Bilder, durch Schattens Augen betrachtet, waren die damit einhergehenden Empfindungen. Sie fühlte Schattens Verzweiflung, ihren Drang, einen Weg zu finden.
Und dann flog der Boden unter ihren dunkelgrauen Pfoten dahin.
Sie lief durch den Tunnel zurück, der sie zum Amphitheater gebracht hatte, aber nicht bis zur draußen gelegenen Straße. Stattdessen nahm sie die erste Abzweigung und folgte dem Verlauf eines Seitentunnels, der in dieselbe Richtung führte, die die Steingänger von der Bühne aus eingeschlagen hatten. Nach einer Weile wurde Schatten langsamer und lauschte.
Das Geräusch ferner Schritte flüsterte durch den Tunnel. Schatten hörte es und lief wieder schneller.
Sie tappte durch Korridore, nahm weitere Abzweigungen, schlich Treppen hinunter und folgte immer den Schritten in der Ferne. Schließlich spähte sie um eine Ecke. Wynn nahm den Geruch von Schweiß und Leder war, so deutlich, als befände sich der Ursprung dieses Geruchs direkt vor ihrer Nase. Doch die nächsten Leute, die sie sah …
Auf halbem Weg durch den Tunnel, auf der linken Seite, standen die Herzogin und ihr Gefolge vor einem breiten Torbogen. Auch die Steingänger, die Hammer-Hirschs Leiche trugen, waren zugegen.
Wynn fragte sich, worauf sie warteten – bis sie das Knirschen von Metall auf Stein hörte. Als es endete, trugen die Steingänger den Leichnam durchs Tor und gerieten außer Sicht. Die Herzogin und ihre Begleiter blieben im Tunnel stehen.
Schattens Blick galt dem Rücken eines großen Elfen, der ein weißes Gewand trug. Als er sich stirnrunzelnd umdrehte und seine mandelförmigen Augen suchend durch den Tunnel blickten, wich sie hinter die Ecke zurück, um nicht entdeckt zu werden.
Das Knirschen wiederholte sich, doch diesmal blieb Schatten zunächst hinter der Ecke verborgen. Plötzlich verschwamm alles für
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