Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Lehrlinge an, die den Leutnant hereingeführt hatten.
»Lauf zu Premin Skyion. Vielleicht ist sie in der neuen Bibliothek. Sag ihr, wohin ich gegangen bin und warum.«
Dann schritt er zusammen mit Garrogh nach draußen.
Ohne ein Wort machte sich Domin il’Sänke daran, Hochturm zu folgen, und Wynn zögerte nicht, sich ihm anzuschließen. Als sie die große Doppeltür erreichten, merkte Hochturm, dass der Offizier und er nicht allein unterwegs waren. Er drehte sich um und baute sich vor il’Sänke und Wynn auf.
»Einer von uns genügt nicht«, sagte il’Sänke, der zusammen mit Wynn stehen blieb. »Ich bin weit und breit das einzig weitere hochrangige Gildenmitglied. Diese ernste Angelegenheit erfordert die volle Aufmerksamkeit der Gilde.«
Das ergab durchaus einen Sinn, fand Wynn, wusste aber: Wenn die Sache nicht so dringend gewesen wäre, hätte Hochturm jemand anders mitgenommen.
Leutnant Garrogh eilte durch den Tunnel im Wachhaus. Hochturm war noch immer voller Ärger, als er ihm folgte, und Wynn atmete erleichtert auf – es wäre sehr schwer gewesen, an einem Zwerg vorbeizugelangen, der niemanden vorbeilassen wollte.
Zwei junge Weise, die Kopien der von Wynn mitgebrachten Texte abgeholt hatten, waren in einer Gasse tot aufgefunden worden. Eigentlich wollte sie die Leichen gar nicht sehen und nicht wissen, wie sie gestorben waren.
Aber plötzliche Sorge verlangte, dass sie sich die Toten ansah.
2
Siweard Rodian, Hauptmann der Shyldfälches, blickte auf das junge, bleiche und tote Gesicht hinab. Eine zweite Leiche lag bei der Ecke der Sackgasse. Keins der Opfer wies Verletzungen auf, und nichts deutete auf einen Kampf hin, abgesehen von einem Stofffetzen, der offenbar einem der beiden Toten abgerissen worden war.
Die Augen der beiden jungen Weisen standen weit offen, und ihre Gesichter …
Entsetzen lag darin, und beide hatten den Mund wie zu einem Schrei geöffnet. Das Haar war ergraut, als wären die Jungen innerhalb von wenigen Sekunden um Jahre gealtert. Rodian wusste, dass Furcht und Trauma solche Wirkungen auf Menschen haben konnten, insbesondere auf Veteranen einer Schlacht, aber bei so jungen Leuten hatte er dergleichen noch nicht gesehen.
Rodian wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er wusste nicht einmal, ob es klug war, hier am Tatort irgendetwas zu verändern.
In den meisten großen Städten wurden Morde verübt. Tote fielen immer in seinen Zuständigkeitsbereich, im Gegensatz zu Kleinkriminalität, um die sich die Konstabler kümmerten. Mit achtundzwanzig Jahren war er für seinen Posten recht jung. Das wusste er, aber er hatte sich die Ehre verdient. Seit drei Jahren leitete er die Shyldfälches, und in dieser Zeit hatte er gelernt, dass Rache oder Leidenschaft hinter den meisten Morden steckte. Nur einige wenige gingen auf Panik zurück, was zum Beispiel der Fall sein mochte, wenn ein Verbrecher plötzlich bei seinen kriminellen Aktivitäten gestört wurde und aus Angst vor Entdeckung einen unschuldigen Zeugen umbrachte.
Wirkliche Armut gab es in Calm Seatt kaum. Selbst Taschendiebe und Straßenräuber waren seltener als anderenorts. Der königlichen Familie lag das Wohlergehen der Bürger am Herzen, und sie half den Armen und Bedürftigen, wo immer es möglich war.
So etwas wie dies hatte Rodian noch nie gesehen.
Bis zum Morgen musste er dem Minister für städtische Angelegenheiten von dieser Sache berichten, und spätestens bis zum Mittag würden König und Königin davon erfahren. Malournés Königliche waren stolz auf die von ihren Vorfahren gegründete Gilde.
Unruhe zitterte in Rodian. Er musste diesen Fall so schnell wie möglich lösen.
Wo blieb Garrogh?
Polizisten hatten die Gasse in beide Richtungen abgesperrt. Zwei von Rodians Männern warteten am Eingang der Sackgasse, ein weiterer stand in der Nähe und hielt eine Laterne, deren Licht auf den Tatort fiel.
Es waren auch zwei Zivilisten zugegen.
Meister Pawl a’Seatt, Inhaber des nahen Skriptoriums, hatte die Leichen gefunden. Neben ihm stand ein Mädchen und hielt sich an seinem Arm fest, seine Angestellte Imaret. Sie weinte leise, den starren Blick auf die Leichen gerichtet. Dann und wann sah sie ihren hochgewachsenen Arbeitgeber an, der ihr keine Beachtung schenkte.
Rodian bedauerte, dass er das Mädchen nicht fortschicken und damit von diesem schrecklichen Anblick befreien konnte.
»Ihr habt sie so gefunden?«, fragte er. »Ohne etwas anzurühren?«
Meister a’Seatt wirkte weder schockiert noch
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