Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
sollte.«
Chane schüttelte erneut den Kopf. Er war so lange mit Welstiel im »Königskette« genannten Gebirge unterwegs gewesen, dass er sich nicht daran erinnerte, wo sie wann gewesen waren.
»In der Nacht, als wir das Kloster fanden, schrie Welstiel zum dunklen Himmel empor. Er schien damit gerechnet zu haben, das Schloss zu erreichen, aber das war nicht der Fall. Ich glaube, in jener Nacht brach er mit der Stimme, die zu ihm flüsterte. Weil er sich von ihr zu oft in die Irre geführt glaubte. Was auch immer zu ihm sprach: Vielleicht entschied das Etwas, Magiere die Kugel ohne ihn finden zu lassen. Sie ist zur Hälfte eine Edle Tote.«
Wynn musterte ihn und fragte sich vielleicht, ob er die Wahrheit sagte. Chanes Gedanken kehrten zu den genannten Namen zurück, und zur schwarzen Gestalt, die Gildenmitglieder tötete und Folianten stahl.
»Glaubst du, der schwarze Magier ist einer dieser alten Untoten?«, fragte er. »Ein uralter Vampir, der im Lauf all der Zeit immer mächtiger geworden ist?«
Wynn zuckte leicht zusammen. »Es ist kein Magier, aber ein Edler Toter.«
»Nein. Vampire sind Edle Tote.«
Wynn schloss müde die Augen. »Nicht nur Vampire. Es gibt da noch etwas anderes, einen Wrait.«
Sie schüttelte den Kopf, bevor Chane eine Frage stellen konnte.
»Es ist ein alter Name dafür, und es gibt noch andere. Ich weiß nicht, welcher von ihnen der richtige ist. Einige numanische Legenden berichten davon.«
»Dann bezweifle ich, dass … «
»Ein Wrait braucht Lebenskraft, um zu existieren. Und er hat ein Bewusstsein. Schatten glaubt, dass die schwarze Gestalt ein Geist ist.«
Chane starrte die Majay-hì an und verstand nicht, was Wynn meinte. Nach den Worten der jungen Weisen teilte sie Chaps Feindseligkeit Untoten gegenüber. Das stützte ihre Schlussfolgerungen, reichte aber noch nicht aus. Wie hatte sie so etwas von einem Tier erfahren können?
»Schatten hat nicht nur versucht, mich zu beschützen, sondern auch den Geist gejagt«, fuhr Wynn fort. »Ich verstehe noch nicht alles, aber auf dem Weg hierher habe ich über etwas nachgedacht, das mir bei einem von il’Sänkes Vorträgen zu Ohren gekommen ist. Wie bei den fünf Elementen ordnen die Weisen alles Existierende drei Aspekten zu: körperlich, geistig und seelisch.«
Chane kannte dieses Konzept unter anderen Bezeichnungen, aber es erklärte nicht ihre Schlussfolgerungen.
»Ein Vampir unterscheidet sich von einer wandelnden Leiche«, sagte die junge Weise. »Aber beide sind körperlich. Wo also liegt der Unterschied? Wir wissen beide aus Erfahrung, dass Geister existieren, und auch andere, nicht körperliche Arten von Untoten. Wir haben gesehen, wie Tote aus dem Jenseits zurückkehren, sowohl geistig als auch körperlich.«
Chane wollte widersprechen, denn Wynns Überlegungen waren gefährlich, für sie selbst.
»Die schwarze Gestalt ist bei vollem Bewusstsein und handelt zielgerichtet«, sagte Wynn etwas leiser. »Selbst wenn sie auch über ausgeprägte magische Fähigkeiten verfügt … Sie weiß um ihre eigene Existenz und verhält sich in dieser Hinsicht so, als wäre sie noch am Leben. Und sie braucht Lebenskraft, um ihre Existenz zu erhalten. Das ist genau die Beschreibung eines Edlen Toten.«
Es fiel Chane keine passende Antwort ein, aber dies gefiel ihm nicht. Er war unsicher, wusste aber, was Wynns Intellekt zu leisten vermochte. Zwischen Zweifel und Glaube gefangen – welche Richtung würde sie einschlagen?
Und wenn sie recht hatte … Wie sollte er sie vor etwas schützen, gegen das er selbst nicht kämpfen konnte?
Sie wussten noch immer nicht genau, was dieses Geschöpf – der Wrait – eigentlich war, und das Geheimnis der Schriftrolle blieb ungelüftet. Chane neigte nicht dazu, besonders fantasievoll zu sein, aber er glaubte, dass die Schriftrolle aus einem bestimmten Grund in seine Hände gelangt war. Dass die weiße Untote versucht hatte, sie Wynn zu zeigen, bestätigte ihn in dieser Annahme.
Was auch immer sich unter der schwarzen Schicht befand: Es mochte auf eine gefährliche Zukunft hinweisen.
Derzeit glaubte Chane, gar keine Zukunft zu haben.
»Du hast gesagt, Li’kän wollte, dass du ihr die Rolle vorliest«, begann er. »Oder dass du sie für dich selbst lesen solltest. Ich kann mir nicht vorstellen, warum diesem ›alten Feind‹ etwas daran gelegen sein sollte. Unser nächster Schritt sollte der Versuch sein, dieses Rätsel zu lösen.«
Wynn sah zu Boden. »Das habe ich mir auch gedacht.«
»Wie
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