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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Verstorbenen; ich, indem ich ihn eine kurze Weile ansah und innerlich so etwas wie ein Gebet aufsagte. Andere legten Beigaben ab, ließen ihrem Kummer freien Lauf, aber niemand, außer Sulana, wagte es, ihn zu berühren. Am späten Nachmittag, mittlerweile brach die Sonne durch die lichter werdende Wolkendecke hindurch, machten wir uns auf den Rückweg.
»Darf Sulana das Grab pflegen und ihren Mann besuchen?«, fragte ich Niwa. Sie antwortete nicht. Ich wiederholte meine Frage, aber sie blieb stur.
Die anderen Frauen bemerkten, dass Niwa auf meine Frage nicht reagierte und wollten von ihr wissen, was ich gefragt hätte. Sie antwortete unwirsch und beendete mit einer strengen Geste die Unterhaltung.
Später im Dorf passte mich Nuria ab, als ich zum Fluss gehen wollte, und zog mich hinter eine Hütte. Sie fragte mich mit gebrochenem Akzent, was ich von Niwa gewollt hatte. Ich antworte ihr flüsternd und geduldig, bis sie meine Antwort verstand. Sie nickte.
»Später«, sagte sie und strich mir vertrauensvoll über den Unterarm. Schnell trennten wir uns voneinander. Später. Ich dachte nach. Viele Tage Aufenthalt hatte ich nicht mehr, in fünf Tagen schon musste ich nach Denpasar aufbrechen, um noch einige Formalitäten vor meiner Abreise zu erledigen. Ich würde einfach warten müssen.

    Mein letzter Abend in Trunyan. Ich hatte zu einem kleinen Abschiedsfest geladen und wollte den mir ans Herz gewachsenen Bali-Aga kleine Aufmerksamkeiten schenken, die ich in den letzten Tagen mit Made Kutut besorgt hatte. Zusätzlich spendierte ich zwei größere Ferkel für ein Abschiedsessen, doch ähnlich, wie es bis zu dem Todesfall mit meiner Feldforschung lief – nämlich enttäuschend – gestaltete sich der Abend auf persönlicher Ebene zu einer Katastrophe.
Jene, die ich als Freundinnen wähnte, blieben meinem Fest fern. Sulana, Nuria, Mawi, sie alle kamen kurz vor dem Fest zu mir, verabschiedeten sich mit ernster Miene und zogen sich zurück. Das ging mir sehr nah und ich überlegte, was der Anlass dafür gewesen sein könnte. Hatten sie herausgefunden, dass ich die Bestattung fotografiert hatte und waren deshalb voller Wut auf mich? Dann hätte ich es verstehen können. Ich ließ mein eigenes Fest über mich ergehen und verabschiedete mich kurz nach dem Dunkelwerden. Meine Sachen waren gepackt, Made Kutut würde mich in aller Frühe abholen. Ich ging zum See, um mich von einem liebgewonnenen Ort zu verabschieden, an dem ich häufig gegen Abend verweilt hatte. Der volle Mond schien über dem See, es war kühl aber nicht kalt, und ich genoss die klare Luft. Der Anblick linderte meine Aufgewühltheit und ließ mich ruhiger, aber auch melancholischer werden. Ich hörte Schritte und drehte mich um. Eine Gestalt kam geduckt auf mich zugelaufen.
Ehe ich eine Bedrohung wähnte, erkannte ich Nuria, ganz in schwarzes Tuch gehüllt.
»Komm!«, forderte sie mich beinahe flüsternd auf und zog mich am Arm.
»Was?«, fragte ich überrascht und verständnislos.
»Komm! Zeigen!«
Deutlich vernahm ich in dem Timbre ihrer Stimme, dass sie aufgeregt war.
»Komm!«
Sie zog stärker und ich folgte ihr. Sie wies mich an, mich zu ducken und ihr hinterher zu schleichen. Gemeinsam durchquerten wir in konspirativer Manier das Dorf und gelangten auf den Pfad, der zu jenem Friedhof führte, auf dem Sulanas Mann lag. Ich verstand nicht, aber folgte ihr. Was wollte sie mir zeigen? Wollte Sulana dort bei ihrem Mann Abschied von mir nehmen und waren sie deshalb nicht zu meinem Abschiedsfest erschienen? Zu all diesen Fragen, die ich mir während des Aufstiegs stellte, gesellten sich auch Misstrauen und Sorge um mein eigenes Wohl. Was, wenn mir etwas zustieß? Niemand wusste von meiner nächtlichen Exkursion. Ich hielt Nuria an ihrem Gewand zurück, keuchte und fragte: »Was ist los, Nuria?«
»Komm, ich zeigen«, antwortete sie, spürte meine Angst und streichelte meine Wange. »Schon gut«, beschwichtigte sie mein aufgeregtes Gemüt.
Ich verließ mich auf meine Menschenkenntnis und folgte ihr weiter den Hang hinauf. Zum Glück leuchtete uns das fahle Mondlicht den Weg und tauchte die niederen Bäume und das Gestrüpp in kräftige Schatten, die sich scharf abhoben. Bald hatten wir jene Stelle erreicht, ab welcher man durch das Dickicht auf den Friedhof gelangte.
»Psst«, machte Nuria und legte einen Zeigefinger auf ihren Mund. Ich verstand und nickte. Noch stärker um Lautlosigkeit bemüht schlichen wir durch das Gestrüpp und erreichten die Lichtung.

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