Diabolos (German Edition)
Zwei Gestalten standen an der frischen Grabstelle – Sulana und Mawi schlussfolgerte ich.
Nuria führte mich zu ihnen. Atemlos blieb ich vor ihnen stehen und sah sie erwartungsvoll an. Sie sagten nichts und regten sich auch nicht, was mich stutzig machte und meinen Blick umtriebig werden ließ. Ich verstand nicht. Doch. Ich sah genauer hin, beugte mich über die Palisade aus Zweigen und Schilfrohr. Der Leichnam fehlte, die Barriere war an einer Stelle zertreten. Ich schluckte und hielt vor Schreck eine Hand vor den Mund. Die Tiere hatten den Verstorbenen geholt, schoss es mir durch den Kopf und ich bedauerte Sulana um dieses Schicksal. Aber irgendetwas passte nicht in dieses Bild. Ich dachte nach. Die Palisade war von innen nach außen gedrückt und niedergerissen worden. Ich schüttelte verwirrt den Kopf und sah die Frauen fragend an.
»Was bedeutet das?«, flüsterte ich. »Ein Tier?«
Sie schwiegen. Ich sah, dass Sulana und Nuria sich anblickten und Sulana dann nickte.
»Kein Tier. Jalak nicht tot, Jalak nicht lebendig. Jalak fortgegangen.«
Ich verstand die Metaphorik nicht, noch kam mir auch nur im Ansatz ernsthaft der Gedanke, Sulanas toter Mann könne von selbst irgendwo hin gegangen sein.
»Was bedeutet das?«, hakte ich nach.
»Jalak … andere Welt, nicht tot, nicht lebendig«, versuchte Nuria mir zu erklären, scheiterte aber am hartnäckigen Festhalten bekannter Glaubenskonzepte meinerseits. Immer noch vermutete ich, irgendein Wort nicht richtig verstanden zu haben.
»Wo ist Jalak jetzt?«
Wieder tauschten Nuria und Sulana Blicke in der Dunkelheit. Sie standen nah beieinander. Ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen, wohl aber, dass Sulana wieder nickte.
»Komm«, sagte Nuria.
Die drei drehten sich um und schritten über den Friedhof in jene Richtung, zu welcher auch die Grabstelle aufgebrochen war. Ich schauderte, wie ich sie, ganz in Schwarz gehüllt, wie drei Hexen durch den Mondschein gehen sah, und war mir nicht sicher, ob ich folgen sollte. Wurde hier ein böses Spiel mit mir getrieben? Doch wieder gewann mein Vertrauen in meine neu gewonnenen Freundinnen und ich folgte ihnen nach kurzem Zögern.
Am Rande der Lichtung erblickte ich eine Bresche, die durch niedrigwachsendes Unterholz führte. Vorsichtig folgten wir ihr. Zweige peitschten mir widerspenstig ins Gesicht und Dornen stachen mich. Wir erreichten ein Plateau, von dem die Sicht auf den Gipfel, das Dorf und den See beeindruckend war.
Sulana, Nuria und Mawi hielten inne. Sulana deutete mit einem Arm den seichten Hang hinauf, der zu einem weiteren Wald führte, der sich dunkel im Mondlicht abhob.
Dort stand Jalak.
Nie werde ich dieses Bild vergessen. Sein weißes Gewand strahlte fast vor dem dunklen Wald im Hintergrund. Er blickte ausdrucklos zu uns, seine Arme baumelten schlaff an seinem Körper herab, sein Gesicht schien gespenstisch fahl.
»Das … das kann nicht sein«, stammelte ich, schüttelte vehement mit dem Kopf und rang um Fassung.
»Jalak«, antwortete Sulana und zeigte wieder auf die Gestalt. Ihre Stimme klang brüchig vor Trauer.
»Jalak böser Geist. Geht in Welt der Toten«, flüsterte Nuria. Sulana winkte ihrem Gatten, der regungslos dort oben verharrte.
»Sind alle …«, fing ich zu fragen an, doch Nuria verstand schnell, schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, nur Jalak … und früher, früher andere.«
»Und warum Jalak«, wollte ich wissen.
Nuria sah traurig zu Sulana und seufzte. »Jalak sehr böser Geist. Geht in Welt der Toten.«
»Und dann?«
Ich fühlte, wie der Boden meines Weltverständnisses in diesem Moment unter meinen Füßen weggerissen wurde.
»Kommen Tote irgendwann zurück … wenn Welt böse«, antwortete Nuria fast abwesend, sich aber ihres Glaubens sicher und überzeugt.
Ein Ruck ging durch Jalak, staksig wandte er sich um und trat mit steifen Schritten in den Wald. Wir blieben eine Zeit lang schweigend stehen, ich spürte einen leichten Wind um meine Wangen streichen, als mich die drei umringten.
»Kein Wort«, sagte Nuria und legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. Alle sahen mich eindringlich an.
»Ja, kein Wort«, versprach ich.
Wir gingen zurück und umarmten uns im Dorf. Welch ein Abschied! Den Rest der Nacht lag ich wach im Bett, die Tür zum ersten Mal verschlossen, und wähnte mich dem Wahnsinn nahe.
Mit jedem Kilometer, den ich zwischen mich und das Dorf der Bali-Aga brachte, nahmen die Zweifel an meiner Wahrnehmung zu. Mit jedem Tag, der zwischen mir und dem Ereignis lag, wuchs mein
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