Diabolos (German Edition)
schmückende Vorzelt erhielt sie eine geheimnisvolle, kultische Bedeutung. Kein Archäologe hat sie je geplündert , sagte sie sich mit einer unerklärlichen Sicherheit. In dieser Höhle atmete noch der Geist längst verschollener Kulturen. Die Menschen hatten die Mythen und Götter nicht vergessen; ihr Glaube an sie machte sie unsterblich. Die Herrscherin dieser Höhle, die ›Große Göttin‹, hatte demnach die vergangenen Jahrtausende unbeschadet überstanden. Heather seufzte. Wovor fürchtete sie sich eigentlich, vor Göttern und Dämonen? Für eine aufgeklärte, emanzipierte Frau des 20. Jhd. verhielt sie sich doch äußerst rückständig. Sie straffte ihre Schultern, atmete tief durch und schritt mit leicht vorgestrecktem Kinn auf das Zelt zu. Ihre Mutter hatte doch keine Mimose großgezogen.
Unterdessen hatten Janos und Brandon das Lager erreicht. Links von ihnen saßen zwei Männer im Schneidersitz auf einem alten, zerschlissenen Teppich und spielten Tavli, eine Art Backgammon. Leere Kaffeegläser standen neben ihnen am Boden. Den Männern gegenüber, näher zum Höhlenrand hin, hielten sich zwei Frauen auf. In den tiefen Schatten konnte Brandon nur vage Umrisse erkennen. Eine Person saß auf einem breiten Stuhl, die andere kauerte davor. Als die Spieler die Neuankömmlinge bemerkten, sprangen sie auf und begrüßten vor allem den Gast in einer überschwänglich freundlichen Art. Brandon nickte ihnen lächelnd zu und schüttelte die schwieligen Hände. Von ihrem herzlichen Empfang verstand er aber kein einziges Wort. Die Männer waren jünger als Janos, aber von ähnlich gedrungener Gestalt. Er schätzte den jüngeren der beiden auf Anfang 30, den anderen etwa fünf Jahre älter. Janos stellte sie ihm als Kostis und Leonidas vor. Leonidas' Kleidung unterschied sich kaum von der von Janos; der Mann trug über dem typisch weißen Hemd lediglich noch eine zusätzliche Weste aus Ziegenleder. Schwarze Hosen und Schuhe, sowie eine dunkle Schlägerkappe rundeten das Bild ab. Kostis wirkte dagegen wie ein bunter Papagei. Er trug ein übergroßes, rot weißes T Shirt mit ›Coca Cola‹-Aufdruck und blaue Levis. Die Jeans waren ihm zu lang, so hatte er sich die Hosenbeine mehrere Male umschlagen müssen. Seine nackten Füße steckten in grün violetten ›Reebok‹-Basketballstiefeln, die ihm offenbar auch zu groß waren. Bei jedem Schritt rammte er die klobigen Dinger wie tonnenschwere Gewichte in die Erde. Als er Brandon begrüßte, verrieten sein Blick und seine Haltung allerdings einen Stolz, der eher einer Paradeuniform würdig gewesen wäre.
»Wir alle … Familie, okay?«, erläuterte Janos.
Brandon begann zu verstehen. »Du meinst Brüder? Ihr seid Brüder?«
Janos dachte eine Weile angestrengt über den Sinn der Frage nach. Seine Konzentration wurde jedoch gestört, als nun auch Heather das Lager erreichte und ebenso freundlich wie lautstark empfangen wurde.
»Ja, Sie haben Recht, es sind Brüder«, erklang plötzlich eine dunkle, weibliche Stimme aus dem Hintergrund. Beinahe augenblicklich verstummte das heitere Geplapper der Männer; nur die Zikaden zeigten keinen Respekt. Janos schien aus einer Art Starre zu erwachen und eilte hastig zum Platz der Sprecherin. Verblüfft sah Brandon, wie sich der kleine Mann tief vor dem Stuhl verbeugte. Die Unterredung verlief in einem flüsternden Ton, wobei lediglich die ausladenden Gesten des Hirten den dramatischen Inhalt vermuten ließen. Nach etwa zwei Minuten richtete sich Janos halb auf und schlurfte langsam rückwärts zum Höhleneingang. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf blieb er im Schein einer Fackel stehen.
»Unser kleiner Führer sieht aus wie ein geprügelter Hund«, raunte Heather ihrem Mann zu. Unbemerkt war sie an seine Seite getreten. »Ob er etwas falsch gemacht hat?«
Auch Brandon beobachtete die merkwürdige Szene. »Wer weiß«, murmelte er, »vielleicht ist heute wegen Renovierung geschlossen. Oder Frau Göttin leidet unter Migräne.«
Die sitzende Frau streckte nun einen Arm in ihre Richtung und winkte sie heran.
»Kommen Sie!«, erklang wieder ihre tiefe, sonore Stimme. »Treten Sie doch bitte näher.«
Die Aufforderung erging an sie in einem nahezu akzentfreien Oxford Englisch. Als sie in den dunkleren Bereich des Baldachins schritten, fühlte sich das Paar wie Delegierte auf einem Konsulatsempfang. In gebührendem Abstand blieben sie vor der Unbekannten stehen.
Die Frau saß auf einem breiten Korbsessel mit hoher
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