Diabolos (German Edition)
Rückenlehne. Zahlreiche, üppig bestickte Kissen verschafften ihr Bequemlichkeit. Ihr ganzer, recht hagerer Körper war in schwarze Tuchbahnen gehüllt, nur ein kleiner Teil des Gesichts blieb unbedeckt. Als sie den beiden nun zulächelte, erschienen tausende winzige Falten auf ihrer Haut. Ein grinsender Mumienschädel, der von gelblichweißem Pergament umspannt wurde. Jeden Augenblick drohten die hervorstehenden Backenknochen die brüchige Oberfläche zu durchstoßen. Ihre Augen waren ähnlich schwarz wie die Kleidung. Brandon fragte sich, ob sie vielleicht blind war.
»Bitte entschuldigen Sie die kleine Verzögerung«, bat die Greisin, »aber Janos und seine Brüder vergessen oft die einfachsten Gesetze der Gastfreundschaft. Es sind halt nur einfache Hirten«, seufzte sie. »Man kann es ihnen nicht übel nehmen. Mein Name ist übrigens Deino. Ich bin die Hüterin der Höhle.«
Nur äußerst vorsichtig schüttelten Heather und Brandon die ihnen dargebotene Hand. Deinos knöchrige, spinnengleiche Finger erwiderten den Druck aber mit einer erstaunlichen Kraft.
»Sicher hat Sie die Wanderung durstig gemacht«, sagte sie. »Darf ich Ihnen eine Erfrischung bringen lassen?«
Brandon nickte zustimmend. »Ein Schluck kühles Wasser wäre jetzt genau das richtige.«
Deino klatschte zweimal in die Hände, worauf sich hinter ihrem Sessel ein Schatten erhob. Erst jetzt zeigte sich auch die zweite Frau, die sich regelrecht im Schutz des hohen Korbgeflechts versteckt hatte. Als sie ins fahle Licht trat, erkannte Brandon, dass sie beinahe noch ein Mädchen war. Ihr schmutziges, ausdrucksloses Gesicht wurde von strähnigen, braunen Haaren verschleiert. Sie war barfuß und trug eine eingerissene Bluse und einen fleckigen, knielangen Rock. Nachdem sie den Gästen zwei runde Sitzkissen gebracht hatte, verschwand sie wortlos mit einem Tablett in der Höhle.
»Vielen Dank«, lächelte Heather und ließ sich zu den Füßen der alten Frau nieder. »Wir wollen Ihnen aber keine Umstände bereiten. Janos hat uns mit seiner Erzählung über die Höhle nur neugierig gemacht. In meinem Reiseführer wird nämlich nichts darüber erwähnt.«
Deino zeigte erneut ihr gespenstiges Lächeln. »Das ist richtig«, bestätigte sie. »Nur wenige wissen von der Existenz dieses Ortes. Aber die Große Göttin empfängt jeden ihrer Gäste mit offenen Armen.«
Brandon rutschte mit seinem Kissen ein Stück näher. »Deino, darf ich Sie fragen, woher Sie unsere Sprache so gut beherrschen?«
Die Alte faltete ihre dürren Hände vor dem Gesicht und starrte ihn aus glanzlosen Höhlen an. »Es kommen viele Menschen auf diese Insel«, antwortete sie. »Aus allen Ländern der Welt. Kreta wirkt wie ein Magnet. Ich habe in all den vielen Jahren die unterschiedlichsten Sprachen gehört, selbst Japanisch. Aber meist sprachen die Reisenden Ihre Sprache.« Sie fächerte ihre Hände wie eine Blume auf. »Ich war eben eine gute Schülerin.«
Das Gespräch wurde kurz unterbrochen, als das Mädchen aus der Höhle zurückkehrte. Schweigend stellte sie eine gefüllte Wasserkaraffe mit zwei Gläsern vor den Besuchern ab und zog sich dann wieder in den Schatten des Korbsessels zurück. Als sie sich zu ihnen hinunter beugte, erhaschte Brandon einen näheren Blick auf ein überaus hübsches Gesicht. Die leblosen Züge ließen jedoch auf eine geistige Schwäche schließen. Welche Verschwendung der Natur , dachte er bitter. Das Wasser hatte einen starken, mineralischen Nachgeschmack; seine erfrischende Kühle ließ diesen kleinen Mangel jedoch schnell vergessen. Nachdem Brandon vier Gläser getrunken hatte, fühlte er sich so erholt, als habe er mehrere Stunden gerastet. Mit neuem Tatendrang erfüllt, sprang er auf und betrachtete eingehend den Eingang der Höhle.
»So, jetzt bin ich aber wirklich gespannt, was uns dort hinten erwartet«, grinste er Deino an. »Wenn Sie erlauben, so würde ich mir nun gern einmal Ihr Heiligtum näher ansehen.«
Die Gastgeberin schien über seine Ungeduld nicht verärgert zu sein. »Warum haben es alle Reisenden nur immer so eilig?«, fragte sie kopfschüttelnd. »Nie verweilen sie länger an einem Ort. Sie fürchten sich davor, etwas zu verpassen. Sie ahnen dabei nicht, dass ihre Wege längst von den Göttern vorherbestimmt wurden.« Lächelnd blickte sie zu Brandon auf. »Das Tor der Höhle steht dir offen, mein Sohn. Die Wunder erwarten dich. Janos wird nur zu gerne wieder den Führer spielen. Ich stehe leider dafür nicht zur
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