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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Gedanken an die kurze Frist bis zu seiner Abreise verschwendet hatte. Als es dann aber soweit war, packte ihn eine nie gekannte Furcht: als er in die Bahn stieg, das Gefühl, sich direkt auf den Weg zu seiner Hinrichtung zu begeben. Er fügte sich, weil er musste. Das gesunde Urteilsvermögen, das er zurückgewonnen geglaubt hatte, verflüchtigte sich noch während der Bahnfahrt. Alles brach wieder über ihn herein.
    Sein zweiter Besuch war eine furchtbare Enttäuschung gewesen. Zwar fand er alles äußerlich unverändert vor, nach einer Weile jedoch dämmerte ihm, dass die Verschwörung ihren Weg in seine Heimat gefunden hatte. Seine erste Verteidigung bestand darin, Heiterkeit vorzutäuschen. Er begann zu lügen. Er wusste nicht länger, wem er trauen konnte. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder hatte sich die Verschwörung unbemerkt bereits auf ihn konzentriert, als er noch daheim wohnte, was bedeutete, dass er sowohl seine Freunde als auch seine Familie verdächtigen musste, den Verschwörern wissentlich oder unwissentlich in die Hände zu spielen. Oder aber es verhielt sich tatsächlich so, dass sie ahnungslos waren, woraus wiederum folgte, dass er sie keiner Gefahr aussetzen durfte: In diesem Fall musste er sich von ihnen fernhalten, um sie davor zu bewahren, selbst der Verschwörung zum Opfer zu fallen. Er entschuldigte sich vielmals, nicht länger bleiben zu können; das Studium sei eine große Herausforderung. Als er sich auf die verfrühte Rückreise machte, geschah dies in der düsteren Schicksalsergebenheit eines Mannes, der einer ungleichen Auseinandersetzung nicht entkommen konnte.
    Die Neuigkeiten von daheim enthielten zunehmend mysteriöse und widersprüchliche Details. Außerdem war sich Carsten bald sicher, dass seine Telefonate abgehört und mitgeschnitten wurden. Die meisten persönlichen Briefe entsorgte er ungeöffnet.

    *

    Er musste einsehen, dass die Verschwörung gegen ihn über ein ›einfaches‹ Mordkomplott hinausging. Neben der erschreckenden Ausweitung der Bedrohung machte es auch ein anderer Aspekt unmöglich, bei der Polizei oder anderswo Hilfe zu suchen, und zwar der übermenschliche Grad der Technologisierung, über den seine Feinde verfügten. Carsten war sich im Klaren darüber, dass man ihn für verrückt erklären würde, wenn er sich jemandem mitteilte.
    Eines Abends, als nur die Schreibtischlampe brannte, hatte er an der Wand neben seinem Kleiderschrank einen krabbelnden, schwarzen Fleck ausgemacht, den er für eine Spinne gehalten hatte. Er versetzte dem Ding einen Schlag mit der zusammengerollten Zeitung, woraufhin es wie ein getötetes Ungeziefer zu Boden fiel. Was er dann aber auf einem Blatt Papier vom Teppich auflas, hatte zwar oberflächliche Ähnlichkeit mit einer Spinne, war in Wahrheit aber etwas ganz anderes. Es handelte sich um einen glatten, runden Metallkörper, an dem dünne Drähte mit mehreren Gelenken baumelten. Vor seinen Augen erwachte die Spinne, die er mit dem Papier unter der Schreibtischlampe abgelegt hatte, unter zögerlichem Strecken ihrer Metallbeinchen zu neuen Leben. Innerhalb von Sekundenbruchteilen öffnete sich ihr runder Metallkörper und zeigte ihm das kalte Auge einer miniaturhaften, im Inneren versteckten Kamera, die mit einem kurzen Klicken sein verstörtes Gesicht fotografierte – bevor sich die Spinne, die in Wirklichkeit ja eine Wanze oder ein hochentwickelter Späh-Apparat war, mit einem Sprung vom Schreibtisch in die Dunkelheit katapultierte und spurlos verschwand.
    Carsten nannte sie fortan die Späh-Spinne. Er sollte sie noch häufiger zu Gesicht bekommen, doch hatte sie dazugelernt und ließ sich kein zweites Mal von ihm erwischen. Nachts tauchte sie an seinen Wänden auf, bevor er zu Bett ging, und verschwand dann wieder, als hätte sie jemand verschluckt. Carsten erschlug von nun an in seiner Reichweite alles was krabbelte, nur um enttäuscht festzustellen, dass seine Opfer stets gewöhnliche Insekten und Arachniden waren.

    *

    Carsten befand sich in der schrecklichen Situation, Spielball übermächtiger Gegner zu sein, vor denen es kein Entrinnen gab. Je enger sich die Schlinge zog, desto schwächer wurde seine körperliche Verfassung. Am Morgen des Tages, an dem er mit Georg verabredet war, hatte seine Verzweiflung einen neuen Höhepunkt erreicht.
    Durch die Jalousienschlitze waren blasse Lichtstreifen ins Zimmer gefallen, als Carsten und Tatjana, durch noch im Halbschlaf vorgenommene Berührungen erregt, einander umschlangen

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