Diabolos (German Edition)
Wahrheit sein.
Penner
Thomas Backus
»Haste ma 'n Euro?«, fragte die abgerissene Gestalt und hielt ihm einen Kaffeebecher hin.
Uwe senkte verlegen den Blick.
»Nein, tut mir leid. Ich habe keinen Euro«, sagte er. »Ich bin genauso eine arme Sau wie du. Meine Klamotten sind vielleicht noch nicht so abgetragen, aber das kommt noch, sie sind alles, was mir geblieben ist.«
»Scheiße, Mann, das klingt nicht gut«, sagte der Penner. Er kramte in seinem Rucksack und hielt Uwe eine Flasche Bier hin. »Komm, trink erst mal einen. Danach isses besser, glaub mir.«
Uwe überlegte einen Moment. Wenn er sich jetzt da hinsetzte, dann überschritt er eine letzte Grenze, dann gehörte er wirklich dazu.
Trotzdem setzte er sich und nahm auch das angebotene Bier. Er glaubte zwar nicht daran, dass Alkohol seine Probleme verbessern würde, aber er brauchte jemanden, der zu ihm stand – und wenn es dieser Penner war.
»Danke, Kumpel!«
»Gern gescheh´n. Ich bin Stumpe.«
Er reichte Uwe die Hand und als der sie ergriff, bemerkte er, dass Stumpe der kleine Finger fehlte. Er blickte den Obdachlosen fragend an und Stumpe erklärte: »Der is´ mir festgefroren, als ich Platte gemacht hab. Habs gar nicht gemerkt, und als ich aufgestanden bin, blieb mein Finger liegen.«
»War wohl ein kalter Winter.«
»Yau … ungefähr so kalt wie jetzt.«
Uwe sah Stumpe entsetzt an. Der lachte.
»Für Platte machen isses echt zu kalt. Wo hast du denn geschlafen? Haste 'ne Wohnung?«
»Nein, meine Frau hat mich rausgeschmissen. Die hat jetzt einen neuen Freund, der fährt BMW und mit ihr regelmäßig in Urlaub. Am Anfang hat sie mich nur mit ihm betrogen, doch jetzt hat der Kerl sie vor die Wahl gestellt: Er oder ich.«
»Oha, un´ wie lang wart ihr verheiratet?«
»Sieben Jahre. Ich Idiot dachte, es wären sieben glückliche Jahre.« Uwe trank einen Schluck Bier. »Klar, ich habe viel gearbeitet. Trotzdem hatten wir gerade so unser Auskommen. Konnten nur ab und zu ins Kino gehen. Urlaub war nicht drin. Das war wohl der Hauptgrund …« Uwe schluckte, dann spülte er den bitteren Geschmack mit Bier hinunter. »Ich will was sehen von der Welt, hat sie gesagt. Spanien, Portugal, die Türkei. All die schönen Plätze, wo die Sonne scheint.« Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Die Sonne scheint auch hier, habe ich gesagt, aber sie hat nur gelacht. Dann hat sie mir die Koffer vor die Tür gestellt.«
»Scheiße, Mann«, sagte Stumpe. »Sei froh, dass du die los bist. So eine taugt nix, die hat kein Herz, die Alte.«
»Bis heute habe ich bei einem Freund übernachtet, aber jetzt hat Tina überall herumerzählt, sie hätte mich rausgeworfen, weil ich sie betrogen hätte – mit einer Minderjährigen vom Drogenstrich.«
»Haste?«
»Nein, ich hab meine Frau geliebt. Ich liebe sie noch immer …«
»Und dein Kumpel hat dich rausgeworfen?«
»Ja. Tina meinte, dass ich mir wahrscheinlich AIDS geholt hätte – und nein: Ich habe kein AIDS«, versicherte Uwe. »Allerdings hat sie das auch meinem Chef erzählt und der hat mich sofort rausgeworfen. Er könne kein Risiko eingehen, wegen der Kollegen, hat er gesagt.«
»So ein Schwein, sei froh, dass du den los bis. Hat kein Herz, der Alte«, sagte Stumpe.
»Jetzt hab ich keine Frau mehr, keine Wohnung, keinen Job – und die EC-Karte hat der Geldautomat eingezogen. Ich habe nichts mehr, nur noch das, was ich am Leibe trage.«
»Du hast zwar 'ne Winterjacke und auch warme Schuhe, aber für die Nacht wird das nicht reichen. Haste denn den Aufkleber?«
»Was für einen Aufkleber?«
»Na vom Meldeamt, dass du wohnungslos bist – ohne den Aufkleber im Ausweis kommste nich in de Notunterkunft.«
»Nein, diesen Aufkleber habe ich nicht.«
»Mist … un´ das Amt hat schon dicht.« Stumpe kratzte sich am Bart. »Aber wenn wa uns beeilen, kommen wa noch zur Kleiderkammer. Du brauchst unbedingt 'n guten Schlafsack un 'ne Isomatte, sonst biste morgen früh 'ne steifgefrorene Leiche.« Stumpe packte seine Siebensachen und zog Uwe mit sich. »Na, wir kriegen das schon hin, Kumpel.«
Die Kleiderkammer der Hilfseinrichtung befand sich in einer Seitenstraße auf einem Hinterhof. Alleine hätte Uwe nie dorthin gefunden. Stumpe hingegen kannte sich aus.
Den meisten Sachen sah man an, warum sie weggegeben worden waren. Aber wer hier landete, der konnte keine Ansprüche stellen, der musste nehmen, was man ihm gnädiger Weise zur Verfügung stellte. Uwe sah eine Mutter mit zwei kleinen
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