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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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vierunddreißig Jahre her.«
    Elaines Blick wurde ernst und dunkel und von einem tiefen inneren Schmerz geleitet, der mich dazu veranlasste, nun meinerseits die Hände der Dame in die meinen zu nehmen. Die Kälte ihrer Finger war erschreckend.
    »Erzählen Sie mir davon, Elaine. Von Ihren Träumen … und von meinen Träumen.«
    Die alte Dame sah mich mit einem dankbaren, fast erleichtert zu nennenden Lächeln an, ehe ihr Blick sich wieder in tiefer Trauer verschleierte.
    »Nicht hier, Mr. Pierce. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Mit diesen Worten erhob sie sich, strich ihren Mantel zurecht und wies mich an, sie zurück zu Paxtons Pension zu begleiten. Auf unserem Weg durch die engen, verwunschen wirkenden Straßen des Städtchens sprach keiner von uns ein Wort. Womöglich vermieden wir es beide, diese altertümliche Stille der Straßen und Gassen mit unseren Stimmen zu entweihen. Keine Menschenseele kreuzte unseren Weg. Nicht einmal ein Hund oder eine Katze verrieten das Leben, das sich unzweifelhaft irgendwo hinter den schwarzen Fenstern und fest verschlossenen Türen befinden musste.
    Elaine O´Shannon ging langsam, und ich wusste, dass ihr Gang nicht ihrem Alter zuzuschreiben war. Vielmehr befand sich die alte Dame tief in ihren Gedanken versunken. Manchmal verwandelte sich ihr Atmen in ein resigniertes Stöhnen, doch sprach sie ihre Gedanken mit keinem Wort aus.
    Als wir schließlich den kleinen Empfangsraum der Pension erreicht hatten, hielt mich Elaine am Arm und blickte mir ernst in die Augen. »Wir sollten uns in einigen Minuten im Speisezimmer treffen, Mr. Pierce. Geben Sie mir etwas Zeit, um etwas aus meinem Zimmer zu holen.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sie sich von Paxton den Schlüssel zu ihrem Zimmer geben und stieg die schmale Stiege in die Mansarde empor. Ich bestellte beim Besitzer der Pension zwei Wasser und setzte mich an jenen Tisch beim Fenster, an dem ich auch am Abend zuvor gesessen und zu Abend gegessen hatte.
    Während ich auf die alte Dame wartete und mein Blick über das gespenstische Gemälde einer verlassenen Stadt jenseits des Fensters glitt, spürte ich ein benommenes Gefühl in mir, das mich an der Realität dieses Tages zweifeln ließ. In welchem Alptraum war ich hier nur gelandet? Und was erwartete mich noch in den stillen Gassen von Arc´s Hill? Ich schloss die Augen und versuchte etwas Ordnung in die schreienden und wirbelnden Gedanken in meinem Kopf zu bekommen.

    Elaine betrat nach einigen Minuten zusammen mit Paxton den Gastraum. Während sich der junge Mann mit dem blassen Gesicht schnell wieder zurückzog, setzte sich Elaine auf den Stuhl mir gegenüber und legte ein kleines Buch vor sich auf den Tisch.
    Hatte ich am Abend zuvor noch eine lebenslustige Frau mit wachen und hellen Augen kennengelernt, so sah ich mich nun in Gesellschaft einer alten Dame, deren Augen müde und leblos wirkten. Dennoch konnte sie eine gewisse, beunruhigende Nervosität nicht verbergen. Ihr Blick wechselte rastlos zwischen mir und dem kleinen Buch.
    »Geht es Ihnen gut?« Ich schenkte Elaine von dem Wasser ein, das uns Paxton serviert hatte.
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Mr. Pierce«, ignorierte sie meine Frage und öffnete das Buch. Wie ich jetzt feststellen konnte, handelte es sich dabei um ein kleines, schmales Fotoalbum.
    Elaine strich mit der Hand über das erste Foto. Es erschien mir als beinahe liebevolle und zärtliche Geste und voller Beruhigung registrierte ich ein sanftes Lächeln auf dem Gesicht der alten Dame. Sie drehte das Album in meine Richtung, so dass ich das Foto erkennen konnte.
    »Das ist meine Tochter«, erklärte sie mit leiser Stimme.
    Das Bild zeigte ein kleines Mädchen von etwa acht Jahren, das fröhlich in die Kamera lachte. Ihre langen Haare waren zu zwei dünnen Zöpfen geflochten, die ihr über die Schultern hingen. Das Foto war alt. Die Farben hatten jenen altertümlichen, blassen Schimmer, wie man ihn in der heutigen Zeit modernster Gerätschaften nur noch milde belächeln konnte.
    »Ihr Name war Joyce.« Das Lächeln war vom Gesicht der alten Dame verschwunden.
    Ich nahm das Album an mich und blätterte weiter. Elaine beobachtete mich stumm. Sie schien dieses Album extra für das kleine Mädchen angelegt zu haben. Auf jedem Foto war Joyce zu sehen; mal mit offenem, blondem Haar, das ihr wallend und lockig auf die Schultern fiel, mal mit Zöpfen oder hochgestecktem Haar. Auf einigen der Fotos schien das Mädchen nicht älter als fünf Jahre zu sein,

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