Diabolos (German Edition)
lächerlich zu nennenden Geltungsbedürfnis. Dies war eine Geschichte, die weit über das menschliche Bewusstsein hinausragte und tiefer in jener alten Legende verwurzelt war, als manch einer, der ihrer wusste, nur erahnen konnte.
Ich wurde an meinen eigenen, dunklen Traum der letzten Nacht erinnert. Die alte Frau in der finsteren Gasse zwischen zerfallenen Häusern, deren Giebel sich gegenseitig stützten. Das Lachen, das meinen Kopf wie eisiges Wasser erfüllt hatte und das so sehr mit abgrundtiefem Hass und perversem Hohn erfüllt gewesen war … War es die gleiche Alte gewesen, von der Elaine vor so vielen Jahren geträumt hatte – und vor ihr so viele andere Frauen und Männer im Laufe der letzten Jahrhunderte?
Der Gedanke war zu phantastisch und grauenerregend, als dass ich ihn hätte greifen und binden können. Plötzlich verspürte ich den kindlichen und egoistischen Drang, weit weg von diesem düsteren Ort zu sein, der fernab der realen Welt zu liegen und bar jeder Vernunft und jedes menschlichen Begreifens zu sein schien.
»Meine Worte sind nur die einer alten Frau, welche die Trauer um ihr Kind einer Einsamkeit im Vergessen vorzieht«, hörte ich Elaine sagen, obwohl mir ihre Worte wie das entfernte Flüstern des Windes erschienen. »Doch versuchen Sie meine Worte als Warnung zu sehen, Mr. Pierce. Nur derjenige träumt von Keeza, den sie sich auserwählt hat.«
Ich spürte ihre Berührung kaum, als sie meine Hand ergriff und sie drückte. Ebenso wenig bemerkte ich, wie sie sich erhob und den Raum verließ. Ich starrte ihr nach, obgleich ich sie nicht sah. Vor meinem Auge stand vielmehr die alte Frau in den zerlumpten Kleidern, schattengleich am Ende der dunklen, engen und feuchten Gasse.
In meinem Kopf hörte ich nicht Elaines letzte Worte … sondern das heimtückische, grausame Kichern der seltsamen, buckligen Frau.
Ich hatte beschlossen, am nächsten Tag abzureisen. Diese Geschichte, an deren Wahrheitsgehalt ich merkwürdigerweise keinen Augenblick zweifelte, war zu groß für mich. Ihre Botschaft zu phantastisch für das Denken eines Normalsterblichen. Irgendetwas war mit mir geschehen in diesen wenigen Stunden, in denen ich in Arc´s Hill weilte. Irgendetwas hatte mein Innerstes verändert, meine Gedanken und Ziele. Und ich fürchtete mich vor dem, was meinen Verstand beherrschte.
Kein Buch der Welt war eine derart kalte und uralte Angst wert. Es würde andere Bücher geben, andere wundersame und groteske Geschichten, die es aufzufinden und von denen es zu berichten galt. Aber nicht hier, in diesem stillen, gespenstischen Städtchen, abgeschnitten von der Welt und wohl behütet im steinigen, finsteren Schoß grauer Berge.
Als ich mich schlafen legte – wobei ich es vermied das Licht zu löschen – kreisten Elaines Worte wie schauderhaft heulender Wind durch meinen Kopf. Ich sah die Fotos der kleinen Joyce; ihr lachendes und offenes Gesicht, das jedes Herz zu erweichen vermochte – und ihre wächserne Totenmaske, als sie puppengleich an der Hand der alten Hexe geführt wurde.
Elaines Worte stellte ich keine Sekunde in Frage, hatte ich doch die grässliche Wahrheit in ihren Augen gesehen und in ihrer flüsternden Stimme gehört. Diese Frau war nach Arc´s Hill gekommen, um noch einmal bei ihrem kleinen Mädchen zu sein, so sehr sie der Schmerz auch aufwühlen würde.
Ich aber würde nicht zulassen, dass sich Keeza – eine Hexe, die man vor über zweihundertfünfzig Jahren dem Feuer als Opfer dargebracht hatte – meiner Träume bemächtigte und mich derart auslöschte, wie sie es mit Elaine und so vielen Vätern und Müttern vor ihr getan hatte.
Ich zählte darauf, in dem niedrigen, stickigen Zimmer ohnehin keinen Schlaf zu finden; zu aufgewühlt waren mein Leib und meine Gedanken. Und doch forderten die geistige Erschöpfung und die Furcht ihren Tribut und stellten sich unbarmherzig gegen mich.
Der letzte Gedanke war, bevor ich in einen wirbelnden Dämmerzustand verfiel, dass meine beiden Töchter nicht in Arc´s Hill waren. Sie waren in London, bei ihrer Mutter, und schliefen längst in der Geborgenheit ihrer Kindheit.
Dieser Gedanke, der letzte klare und reale, sollte mich tröstlich stimmen.
Doch tat er es nicht …
Im seltsamen Zustand zwischen Wachen und Schlafen begannen sich Raum und Zeit zu verändern. Die Zeit schien still zu stehen, wurde zu harter, lebloser Leere. Der Raum, wie ich ihn kannte – der letzte Gedanke an das dunkle, mit schweren, altertümlichen Holzbalken
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