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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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den Mythos glaubten und die Jahre zählten. Doch hatte ich das Flüstern der Männer und Frauen für die degenerierte Phantasie von Wichtigtuern gehalten. Bis die Träume begannen …« Elaine griff nach ihrem Glas und trank in kurzen, hektischen Schlucken von dem Wasser. Ihre Hände erschienen mir plötzlich seltsam bleich und abgezehrt; sie zitterten und einige Tropfen Wasser breiteten sich auf dem Tisch aus. »Ich träumte von Ihr , Mr. Pierce. Zu Beginn war ich skeptisch wie Sie. Alles was ich wusste war, dass ich in den Nächten von einer alten Frau träumte. Ihr grässliches Lachen lässt mich heute noch schreiend aus dem Schlaf aufschrecken.« Sie ergriff meine Hand mit einer unerwarteten Härte und blickte mir mit einem unheimlichen Glitzern in den Augen ins Gesicht. »Es war Keeza, Mr. Pierce. Ich weiß es … ich wusste es in dem Moment, als ich eines Morgens nach Joyce sehen wollte und ihr Kinderbett leer fand.« Ihr Blick schwamm in Tränen. »Im ganzen Ort wurde nach meiner kleinen Tochter gesucht. Die Alten murmelten hinter vorgehaltener Hand von der schrecklichen Legende. Doch ich schrie sie an, sie sollten aufhören mit ihren Ammenmärchen und mir bei der Suche nach meiner Tochter helfen. Die Frauen sahen mich mitleidig an und tuschelten miteinander, und die Männer, die mir bei der Suche halfen, flüsterten weiterhin den unheiligen Namen der Hexe und machten das Zeichen gegen den bösen Blick. Schließlich, am Abend des zweiten Tages, hörten die Leute auf, mir zu helfen. Viele der Frauen wandten sich mit tröstenden Worten an mich, an die ich mich heute nicht mehr erinnern kann und will. Ich suchte weitere zwei Tage. In jeder Gasse, in jedem Versteck, das sie als Kind benutzt hatte. Ich rannte sogar in den Wald und in die Berge hinauf. Aber Joyce blieb verschwunden.«
    Elaines Lippen bebten, ihre Augen glichen tiefen, aufgewühlten Seen, als sie mich voller Schmerz und Erinnerung ansah. »Nachdem die vier Tage vorbei waren und ich nicht mehr die Kraft besaß, Joyces Namen zu rufen, träumte ich noch einmal von Keeza. Es war der schrecklichste Traum von allen.« Sie griff nach ihrem Glas, doch es entglitt ihren kraftlosen Fingern und fiel mit lautem Klirren zu Boden. Das Geräusch glich dem infernalischen Schreien einer Bestie in der Stille der Stadt. Elaine hörte es nicht. »Als ich zu Tode erschöpft in den ersten Schlaf seit vier Tagen sank, sah ich die alte Keeza durch eine düstere, verödete Landschaft auf mich zukommen. Ihre Kleidung, verbrannt und rauchend, hing in Fetzen von ihrem skelettierten Leib. Ihre Augen brannten in wahnsinniger Glut in ihrem bleichen Schädel und schienen bis auf den Grund meiner erschöpften Seele zu dringen. An ihrer verkohlten Hand führte sie Joyce mit sich. Meine Kleine war tot. Ihr Gesicht, das ich nur lachend und strahlend gekannt hatte, war wächsern und reglos, als trüge sie eine Maske. Und doch bewegte sich Joyce; wie eine Puppe stakste sie an der Hand der alten Hexe. Keezas grauenvolles Lachen erfüllte meinen Traum wie ein immerwährendes Echo, während sie mit ihrem verbrannten Schädel auf mich herabstarrte und ihre Augen mich mit Hohn und perverser Genugtuung straften. Sie sprach Worte zu mir, die wiederzugeben ich nicht in der Lage bin, denn es waren derart grausame Worte, dass sie meinen Verstand nie erreicht hatten. Dann wandte sich Keeza um, zog meine kleine Joyce wie eine bleiche, uralte Marionette hinter sich her und verschwand langsam in der grotesken, archaischen Landschaft. Zurück blieb einzig ihr widerliches Lachen, das noch lange meinen Traum erfüllte, nachdem Keeza und Joyce schon längst von Dunkelheit und wallendem Nebel verschluckt worden waren.«
    Elaine starrte mit tränenverschleierten, von tiefem Schmerz und Wahnsinn gezeichneten Augen an mir vorbei, ihr Körper bebte in stummem Entsetzen. Ihr Schweigen war schlimmer als der lauteste Schrei.
    Die Kälte, die mich während ihrer Worte wie eine eisige Faust gepackt hatte, schien greifbar den Raum zu erfüllen. Mein Körper war nicht mehr der meine, meine Gedanken die eines Fremden. Ich war nicht fähig, Worte in meinem Kopf zu formulieren.
    Plötzlich erschien mir Marks Bericht in einem anderen Licht. Dies war nicht eine Recherche, wie ich sie sonst betrieb, um Material für meine Bücher und Geschichten zu erlangen. Dies war keine banale Geschichte, wie man sie tausendfach in Tavernen und kleinen Läden wiederfindet, erzählt von Leuten mit irrwitzigem Blick und einem fast

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