Diabolos (German Edition)
alte Legende betreffend, schienen tiefen Eindruck auf sie gemacht zu haben. Dennoch konnte ich nicht leugnen, dass mir ihre Worte das Atmen erschwerten. Es erschien mir gerade so, als würden sich unsichtbare, kalte Hände um meine Kehle legen.
»Die Frau aus meinen Träumen kann jede Frau gewesen sein. Wahrscheinlich existiert diese Frau in der realen Welt nicht einmal.«
Elaine schüttelte kaum merklich den Kopf. Ihre Augen hatten einen traurigen Ausdruck angenommen, der nicht recht zu der vitalen Dame passen wollte, die ich am Abend zuvor bei Paxton kennengelernt hatte.
»Glauben Sie mir, Mr. Pierce. Es ist Keeza.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte ich, noch bevor ich über meine Worte nachgedacht hatte. Das, was ich aus den Aufzeichnungen meines Freundes wusste, und der Umstand, dass ich mit einer fremden Frau in einer totenähnlichen Stadt saß und mich über eine jahrhundertealte Legende unterhielt, ließen in mir eine seltsame Furcht keimen, die sich ungehindert durch meinen gesamten Körper ausbreitete und ihn in eisige Abscheu bettete.
Die alte Dame schien ob meines emotionalen Ausbruches ungerührt. Ihr Blick suchte unvermindert die nahe Häuserfront ab, als erwartete sie tatsächlich die Gestalt der Keeza zwischen den moosbewachsenen, schiefen Giebeln zu erblicken.
»Jeder, der nach Arc´s Hill kommt, träumt von Keeza«, flüsterte sie schließlich. »Der Zyklus ist beendet und die alte Hexe ist in ihr Dorf zurückgekehrt.«
Ich versuchte, einen Sinn in die Worte der alten Dame zu bringen. Doch das Gehörte fand nur schwer seinen Weg in meinen Verstand. Hatte Elaine am Abend zuvor nicht den Eindruck einer rüstigen und vernünftigen Dame auf mich gemacht? Wie konnte ich ihre Worte in Einklang mit ihrem Erscheinungsbild in der Pension bringen? Vielleicht sollte ich zurück in mein Zimmer gehen und mich dem Bericht meines Freundes widmen, als den Worten einer offensichtlich verwirrten alten Dame zu lauschen. Doch gerade als ich mich von der Bank erheben und mich bei Elaine entschuldigen wollte, hielt mich ihre Stimme zurück: »Sie haben Kinder, nicht wahr?«
Ich überlegte, ob ich ihr möglicherweise während des Abendessens davon erzählt hatte, wusste jedoch sofort, dass ich dies nicht getan hatte.
»Ich habe zwei Mädchen«, antwortete ich und ließ mich wieder neben Elaine auf der Bank nieder.
Die alte Dame nickte, als hätte ich ihr lediglich einen Umstand erklärt, den sie bereits vorher gewusst hatte. »Das ist der Grund, weshalb Sie von Keeza geträumt haben.«
Ich spürte, wie ein unterschwelliger Zorn in mir aufstieg. Wenn Mrs. O´Shannon in Rätseln mit mir sprach, war das eine Sache mit der ich leben konnte, kannte ich die Dame doch erst einige Stunden. Doch mochte ich es nicht, wenn meine beiden Töchter zu Hause in London Gegenstand einer Unterhaltung wurden, die an Absurdität nicht zu überbieten schien.
»Elaine …«
Sie reagierte nicht. Ihr Blick suchte immer noch unstet die Häuserfronten und die düsteren Gassen am Ende des kleinen Platzes ab.
»Elaine, was wollen Sie mir sagen? Was wissen Sie über die Legende der alten Keeza?«
Sie drehte ihr Gesicht zu mir. Die Art, wie sie mich ansah, ließ mich frösteln.
»Viel, Mr. Pierce. Zu viel.«
»Was hat das Ganze mit meinen Töchtern zu tun?«
Ich sah im Blick der alten Dame, dass sie einen inneren Kampf focht. Plötzlich saß mir wieder die vernunftgeleitete, nachdenkliche Frau gegenüber, deren Gesellschaft ich am Abend zuvor in der Pension genossen hatte. Ich schämte mich des Zornes, den ich für sie empfunden hatte und suchte bereits nach Worten, die mein Verhalten rechtfertigen konnten, als Elaine plötzlich meine Hand ergriff. Ihre Finger waren kalt, und ich spürte, dass sie kaum merklich zitterten.
»Es gibt etwas, das Sie vielleicht nicht wissen, und das sicher nicht in den Aufzeichnungen Ihres Freundes steht. Außerhalb dieser Stadt existiert nur die Legende von Keeza, der Hexe, mit der man kleine Kinder erschreckt und die Abenteurer und Forscher nach Arc´s Hill lockt; Leute wie Sie, Mr. Pierce. Aber es gibt noch eine zweite Wahrheit. Eine Legende innerhalb der Legende, die allerdings von grausiger und schrecklicher Realität geprägt ist.« Elaine drückte meine Hand mit erstaunlicher Kraft. »Sie fragen sich sicher, was eine Frau in meinem Alter in Arc´s Hill zu suchen hat. Die Antwort ist ganz einfach: Auch ich hatte von Keeza geträumt. Allerdings sind diese bizarren Träume bereits
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