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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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zufälligerweise ich – fragte: »Was war es?«
    Eine Uhr.
    Eine Uhr?
    »Sie …«, er lächelte, wie ein Mensch lächelt, dem Erinnerung und Gegenwart ineinanderfließen, »… sie tickte …«
    Im ersten Moment hatte ich in seinen Worten gar nicht die Antwort auf meine Frage erkannte.
    Irgendwo hatte ganz leise eine Uhr zu ticken begonnen.
    »Ich verstehe nicht …«
    Er sah mich an.
    Er sah mich nur an.
    Erst als ich dieses feine, silbrige Ticken wahrnahm, ein verstohlenes und verschwörerisches Geräusch am äußersten, ausfransenden Rand des Hörbaren, an der Grenze zur Stille, erahnte ich mehr, als dass ich begriff …
    Längst war die Sperrstunde gekommen, es war an uns, an ihm, an mir, zu gehen. Die Serviererin war bereits auf dem Weg zu unserem Tisch, um uns die Rechnung zu bringen. Ich spürte, dass unser Gespräch für heute zu Ende sein würde, sobald sie uns erreicht hatte.
    »Erzählen Sie weiter!«
    Zuerst hielt ich es für eine Täuschung, denn ich war bei meinem früheren Besuchen im Museum ja zu sehr mit IHR beschäftigt gewesen, um darauf zu achten.
    Heute aber weiß ich: Die Uhren waren in den Stunden unserer Zusammenkünfte stillgestanden, während die Räume, als der Kunststudent die Aufsicht innehatte, erfüllt gewesen waren vom Ticken, Schlagen, Pochen und Lärmen der Exponate ...

    In ihm hatte sich ein Wandel vollzogen. Er war zur Ruhe gekommen. Gewiss hatte die Geduld, mit der ich seinen verworrenen Ausführungen zu folgen suchte, dazu ebenso beigetragen wie die Beharrlichkeit, mit der ich ihn durch Zwischenfragen zu hindern trachtete abzuschweifen und seinen Erzählfluss lenkte.
    Behutsam hatte ich ihn angehalten, die bloßen Andeutungen, in denen er sich oft erging, zu konkretisieren und ihn ermunterte, die kryptischen Anspielungen eingehender zu erläutern, in denen sich seine Schilderungen stets zu verlieren drohten. Die Beständigkeit meiner kurzen Einwürfe verbaler oder lauthafter Natur hatte ihn meiner ungeteilten Aufmerksamkeit, meines ungeteilten Interesses versichert.
    Mit Erstaunen musste ich nunmehr feststellen, was für ein sehr geschickter, um nicht zu sagen: raffinierter Erzähler er war. Er verfügte über großes rhetorisches Geschick. Nur gelegentlich verfiel er noch in seine frühere verworrene Erzählweise. Aber ich hatte mich an sie mittlerweile so gewöhnt, dass es mir keinerlei Schwierigkeit bereitete, seinen dann wieder aus jedweder Chronologie gerissenen und an jedwedem logischen Zusammenhang zerrenden Abschweifungen zu folgen.
    Seine Augen waren zuvor stets nervös von Fluchtpunkt zu Fluchtpunkt geirrt, ohne sich irgendwo zu verfangen, zu rasten, Halt zu finden. Nun verweilten sie länger auf mir und suchten – ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren – mit einer gewissen Kühle, die Wirkung zu ergründen, die seine Ausführungen auf mich ausübten. Sein Blick war jetzt klar, wie fieberfrei, seine Stimme hatte ihre Brüchigkeit verloren, fand in eine gewisse Geschmeidigkeit zurück. Ihr Klang war angenehm.
    Die eingefallenen Gesichtszüge glätteten sich, die ungesunde Blässe wich zusehends aus ihnen. Seine fahrigen, ziellosen Bewegungen ordneten sich allmählich wieder zu Gesten, die beständige Unruhe seiner Gliedmaßen fügte sich in Haltungen. Kaum zitterten seine Hände noch. Aufrecht saß er mir gegenüber, zurückgelehnt, das rechte über das linke Bein geschlagen.
    Doch auch in mir hatte eine Veränderung stattgefunden. Immer öfter fiel ich ihm ins Wort, unterbrach seine Schilderungen, drängte ihn angesichts der näher rückenden Sperrstunde, zum Punkt zu kommen. Die Versuchung wurde immer größer, ihn zu überreden, mit mir noch ein anderes Lokal aufzusuchen und weiterzuerzählen, weiter, weiter …
    Als er einmal meine Einladung zum Abendessen in ein nahegelegenes Restaurant dankend, aber bestimmt ablehnte und mich auf morgen vertröstete, fasste ich ihn am Arm, wollte ihn nicht gehen lassen, ohne den Ausgang seiner Erzählung erfahren zu haben. In mir war geraume Zeit schon die Befürchtung, mich eines Tages zur gewohnten Zeit im Café einzufinden und ihn dort nicht anzutreffen.
    Mit einer unwirschen Bewegung machte er sich von mir los.
    »Morgen …«, sagte er überlegen und ließ mich stehen.

    Ich vertraute mich Peter an. Es kostete Überwindung, mich ihm zu öffnen. Ich fand – gegen meine Erwartungen – in ihm einen verständnisvollen Menschen.
    »Es scheint dich schlimm erwischt zu haben. Ich habe mir schon so etwas gedacht. Wenn du

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