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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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anstehende Arbeit zu konzentrieren. Sehnsucht, meine Stimme zu hören, schürzte sie vor. Sie liebe mich wahnsinnig , beteuerte sie, raunte, sie brauche mich so sehr, seufzte, ach, es sei ganz furchtbar mit ihr und mir.
    Nachdem ich aufgelegt hatte – »Nein, du zuerst, leg bitte du auf, ich bringe es nicht über mich …« –, war es mir, als spränge plötzlich vor mir ein Deckel auf und gäbe den Blick frei auf ein fein gearbeitetes Uhrwerk, auf das Zusammenwirken von Kräften, deren einziges Ziel es war, die Zeiger vor dem Stillstand zu bewahren .
    Von da an konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass all ihre Anrufe – oft zwei, drei in einer Stunde –, all die Beteuerungen ihrer Liebe zu mir, ihre mit beschlagener Stimme geraunten Geständnisse ihres Verlangens nach mir, all die Bekundungen ihrer kindlichen Ungeduld, bis sie endlich das Museum verlassen und wieder mit mir zusammen sein könne, all die mit ungeschickter Anzüglichkeit geflüsterten Verheißungen ihrer Hingabe, sobald sie in meinen Armen läge, entlarvte ich als Versuche, mich daran zu hindern, mich wieder in die äußere Zeit einzugliedern.
    Immer öfter reagierte ich gereizt, wenn sie meine Aufmerksamkeit für sich forderte. Mit allen Mitteln suchte sie mich zu überreden, mit ihr durch den strömenden Regen zu laufen. Sie gab vor, von einem Restaurant gehört zu haben [von wem, frage ich mich, sie pflegte keinen Umgang mit anderen Menschen außer mir], und hatte sich in den Kopf gesetzt, sogleich mit mir dorthin zu gehen.
    »Bitte, ach, bitte, nur eine Stunde, dann lasse ich dich arbeiten, ich verspreche es dir …«
    Lehnte ich ab, war sie verletzt. Vertröstete ich sie auf später, schmollte sie. Als ich sie einmal bat, doch vernünftig zu sein, war sie verletzt und weinte. Das nächste Mal deutete sie an, schon länger an meiner Liebe zu zweifeln. Mir den Beweis zu untersagen, dass sie Unrecht hatte, war ich bereits viel zu geschwächt …
    Nicht einmal in den Nächten ließ sie von mir ab. Sie selbst litt, wie sie mir andeutete, seit ihrer Kindheit an Schlafstörungen. Angeblich war sie deswegen sogar schon bei Ärzten gewesen. Doch sie schien überhaupt keinen Schlaf zu benötigen. Sie konnte eine Nacht durchwachen, ohne dass ihr dies am Morgen anzusehen war.
    War ich gerade eingeschlafen, schmiegte sie sich heiß an mich und ließ nichts unversucht, mich meiner wohltuenden Bewusstlosigkeit zu entreißen. Es dämmerte bereits, da sie mich endlich aus ihren Armen und ihrem Schoß entließ. Nur wenige Stunden blieben mir dann, bis der Wecker läutete.
    Immer öfter hörte ich ihn nicht. Eines Nachts – wir hatten uns heftig geliebt, und sie hatte mich in den Arm genommen wie eine jener Puppen, die, in horizontale Lage gebracht, von allein die Augen schließen – wurde ich, kurz bevor die dunkle Welle der Ohnmacht über mich kam, gewahr, wie sie ihr Ohr ganz nah an meinen Mund hielt, und meinen regelmäßigen Atemzügen lauschte, die sie meines tiefen Schlafes versicherten, ehe sie über mich hinweg langte nach dem Wecker, den ich mir eines wichtigen Geschäftstermins wegen gestellt hatte.
    Am Morgen dann, als ich – ganz erstorben war mir noch nicht jedwedes Zeitgefühl – hochfuhr, »Scheiße, der Wecker hat nicht geläutet …«, und gewahr wurde, wie spät es war, »Was hast du?«, mich grob aus ihrer Umarmung riss, »Was ist denn los?«, sie von mir stieß und aus dem Bett sprang, mich ankleidete, »Ich muss los, verdammt, ich komme zu spät …«, fing sie zu weinen an wie ein kleines aus dem Schlaf gerissenes Kind.
    Nicht meine Entschuldigungen, die Beteuerungen meiner Liebe trösteten sie und nicht meine Umarmungen, in deren Heftigkeit sich der Zeitdruck entlud, unter dem ich stand. Nicht und nicht konnte – wollte! – sie sich beruhigen.
    Nur die Zeit selbst, die meine Tröstungsversuche in Anspruch nahmen, die Zeit, die verstrich, während ich sie wieder und wieder in die Arme nahm, die Minuten der Küsse, die Momente, ihre Tränen zu trocknen, die Augenblicke, verschwendet an wahl-, an Berührungen, spendete ihr wahren Trost.
    Sie sog die Zeit in sich auf. Unter Tränen – den letzten Tränen, zu denen sie fähig war – lächelte sie, umarmte mich und sagte mir: »Ich bin so dumm gewesen. Verzeih mir …« – und wieder, »Nein, du musst dich beeilen …«, bedurfte es einiger Minuten, »Geh jetzt, bitte …«, voneinander Abschied zu nehmen für die wenigen Stunden, bis wir uns wiedersehen würden …
    Es ist

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