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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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besetzen gewesen wäre.
    Ich meinte, alles im Griff zu haben. Ich hatte alle Fäden in der Hand und zog an ihnen nach Belieben. Es hätte ewig so weiter gehen können. Doch es war mir klar [ war , nicht: wurde , jeder Mann, der einmal zwischen zwei Frauen gestanden hat, kennt diesen feinen Unterschied], dass eine Entscheidung fallen musste [jeder Ehebrecher sehnt tief in sich eine Klärung der Verhältnisse herbei].
    Längst waren unsere Begegnungen im Museum zu Verabredungen geworden. Obwohl sie wie ich uns weiterhin Zurückhaltung auferlegten, war klar, dass es keiner von uns beiden es dabei belassen wollte. Einige Male waren wir nach ihrem Arbeitsschluss noch in ein Lokal gegangen, aber anstatt einander dort mit Fragen zur Person zu umkreisen, einander sicher zu werden durch ein kontinuierlich anwachsendes Wissen über Lebensumstände, Vergangenheit und Gegenwart, zog sie es vor, die Zeit mit mir schweigend zu verbringen, ihre Finger zwischen die meinen geschoben.
    Wenig erfuhr ich von ihr, über sie, und ihrerseits schien sie nicht das geringste Interesse an den Hintergründen meiner Person zu haben.
    Das Schweigen, ihres, meines, war nicht unangenehm. Keinen Moment lang haftete ihm Verlegenheit an, denn es rührte nicht daher, dass wir einander nichts, sondern viel zu viel zu sagen hatten. Genau das – es fiel mir ganz leicht, mir das einzureden – hatte ich bei Judith vermisst. Sie war davon besessen, nichts unausgesprochen zu lassen, und ihre größte Angst galt der Möglichkeit, etwas Ungesagtes könnte zwischen uns stehen.
    Unser Schweigen tat mir gut. In ihm flossen unsere Wesen zusammen. Ihre stille Art machte mich begreifen, dass es nicht von Belang war, in diesem Stadium unserer Zuneigung den reizvollen Zauber der Ungewissheit durch einen Austausch biographischer Daten und die Aufzählung unserer Lebensumstände zu zerstören. [Beachten Sie bitte: Ich spreche von Stadium , denn längst hatte sich der Prozess unserer Annäherung in den Verlauf einer Krankheit verwandelt ...]
    Keiner von uns hatte eine für den anderen greif- und nachvollziehbare Vergangenheit. Es gab für uns nur jene Zeit, die wir schweigend miteinander, miteinander schweigend, teilten.
    Unsere Abschiede waren abrupt und beseelt von der Gewissheit, einander wiederzusehen.

    Die Regelmäßigkeit unserer Treffen und die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns beide mittlerweile Nachmittag für Nachmittag im Café einfanden, ohne uns vorher abzusprechen, verursachten mir Unbehagen.
    Eines Morgens beschloss ich, unserem Treffen fernzubleiben. Doch als die Stunde näher rückte, mich auf den Weg zu machen, wurde ich von einer Unruhe ergriffen, die anwuchs, je länger ich an meinem Entschluss festhielt. Überstürzt brach ich auf. Ich nahm ein Taxi und fuhr zum Café. Ich kam zu spät.
    Sofort als er mich sah, stand er, nein: er sprang, von unserem Tisch auf, trat – beinahe wäre er mit einer Serviererin zusammengestoßen – auf mich zu und umfasste mit seinen Fingern mein Handgelenk: »Ich dachte schon, Sie kämen nicht …« [Er schnitt sich selbst das Wort ab, aber ich spürte genau, dass er eigentlich hatte sagen wollen: »… Sie kämen nicht mehr …«]
    »Und wenn?«, fragte ich und suchte, mich seinem Handgriff zu entwinden.
    Seine Antwort bestand darin, dass seine Finger mein Handgelenk fester noch umschlossen. So führte er mich an unseren Tisch.
    Er nötigte mich, mich zu setzen.
    Sofort fing er an weiterzuerzählen …

    Leichtfertig hatte ich schon vor geraumer Zeit in Judiths Vorschlag eingewilligt, gemeinsam Urlaub zu machen. Peter beglückwünschte uns zu unserem Entschluss, endlich – endlich, endlich! – einmal auszuspannen.
    Es war mir klar, was Judith mit diesem Urlaub bezweckte. Die Aussprache, die schon lange von mir einforderte, war nun unumgänglich. Schon sah ich uns sitzen auf der abendlichen Terrasse eines Restaurants im Schein eines Windlichts, nahe am Meer.
    Mein Einfallsreichtum, mit dem ich bislang Ausreden, Vorwände und Alibis erdacht hatte, versagte. Zu leicht waren die Einwände zu durchschauen, die ich gegen die von ihr vorgeschlagenen Reiseziele vorbrachte.
    »Willst du überhaupt mit mir fortfahren oder trennen wir uns lieber gleich hier?«
    Wie viele Jahre hatten Judith und ich schon gemeinsam verbracht, zusammen etwas aufgebaut und erreicht!
    Ich rief mir die vielen kleinen Ereignisse und Begebenheiten ins Gedächtnis, zwang mich dazu, an unsere erste gemeinsame Wohnung zu denken, an die einzige

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