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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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nicht verraten. Sie zierte sich lange. Es war tatsächlich ein sehr banaler Name, soviel will ich Ihnen verraten.]
    Die Zeit verging im Rhythmus meines Herzschlages, im Takt meiner vorsichtigen Atemzüge, von denen jeder in die Dunkelheit fragte: Wohin ist SIE entschwunden, meine Geliebte ? Wo bleibt sie so lange? Plötzlich fühlte ich mich hilflos. Ein Gefangener war ich.
    Irgendwo mussten die Kleidungsstücke liegen, derer wir uns gestern – ja, gestern war es, aber ich war mir nicht sicher – gierig nach der Blöße des anderen entledigt hatten. Vorsichtig tastete ich mit der Hand um mich, mit jedem Mal hektischer, da sie ins Leere griff. Dann spürte ich einen Luftzug an meiner Seite. Als ihr warmer Körper an den meinen glitt, ihr Arm sich quer über meine Brust legte, spürte ich, wie heftig ich zitterte. Sie barg ihr Gesicht in meiner Halsgrube. Die Stöße ihres Atems beschworen mich, mich unserer Gefangenschaft zu ergeben.
    Hab Vertrauen, tupften ihre Lippen auf meinen Hals, ganz nahe der Schlagader, hab Vertrauen. Und das Heben und Senken ihrer Brüste an meiner Seite besänftigte mein rasendes Herz.

    Irgendetwas war in den Stunden war geschehen, da wir in dem dunklen Parallelgang ausharren mussten, bis das Museum schloss. Ich vermag nicht genau zu sagen, was es war. Nachdem wir endlich unser Versteck verlassen konnten, war etwas anders, als habe sich etwas in mir aus seiner Verankerung gelöst.
    Die Wochen von Judiths Abwesenheit erscheinen mir heute als ein – wie soll ich es ausdrücken? –, als ein Verstreichen von Zeit innerhalb der Zeit. Es gab eine äußere Zeit, die verging, ein Hohlraum aus Tagen, Stunden, Minuten, Sekunden, eine Zeit aus Zeitpunkten, Terminen, Verabredungen, und eine Zeit darin, die anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchte. In Herzschlägen und Atemzügen maß sie sich, in Spannen zwischen zwei Lidschlägen, in der Dauer einer Geste, der Flüchtigkeit eines Lächelns, der Ausdehnung des Schweigens.
    Unter der Anleitung meiner Geliebten – planmäßig ging sie vor, große Geduld hatte sie mit mir, Nachsicht brachte sie mir entgegen – verlor ich jedwedes Gefühl für jene äußere Zeit und überantwortete mich mehr und mehr der inneren, die ich alsbald als die wahre Zeit ansah, als Lebenszeit … «
    Rasch und bereitwillig, geradezu übermütig löste ich all meine Verbindung zur Außenwelt. Gleich nach Judiths Rückkehr offenbarte ich ihr, was sie ohnehin schon geahnt hatte. Sie war sehr gefasst. Ich überließ ihr bereitwillig unsere Wohnung, das Studio. Jeder Rechtsanwalt hätte mich für verrückt erklärt, Peter fand mein Verhalten sehr anständig .
    Ich mietete mich in einer Pension in unmittelbarer Nähe des Museums ein. Peter ließ seine Beziehungen spielen und vermittelte mir – zum Fußfassen , er wollte von mir keinen Dank dafür – einige kleinere Aufträge, von denen ich notdürftig leben konnte.
    Die Qualität meines äußeren Lebens verlor für mich immer mehr an Bedeutung. Ich fieberte den Stunden mit meiner Geliebten entgegen.
    Die Zeit damals teilte sich in Stunden mit und Stunden ohne sie. Jene, in denen wir nicht zusammen waren, durchdämmerte ich, lebte sie ab, saß sie aus, vertrieb sie mir, in dem ich mir immer wieder die Momente unseres Beisammenseins ins Gedächtnis rief. Ich durchlebte in der Erinnerung, nein: im Vorgang des Erinnerns alles wieder und wieder, so nah an der Realität, dass mir manchmal schien, als wären wir überhaupt nie getrennt. Nahtlos – ich merkte es nicht, schleichend – gingen Realität und Erinnerung ineinander über. Vergangenes wiederholte sich vorwärts, während die unmittelbare Gegenwart zurückfiel in den Zustand von längst Erlebtem. Selbst Zukünftigem gedachte ich.
    Ich brachte nicht mehr die Kraft auf, nach außen den Schein zu wahren. Bei Geschäftsterminen, zu denen ich mich – vor allem, wenn ich vorher mit ihr, mit IHR, zusammen war – oft verspätete, war ich unkonzentriert und ungeduldig, fiel meinen Gesprächspartnern ins Wort. Smalltalk, diese Auflockerungsrunden, bevor es zur Sache ging, war mir unerträglich.
    Ich verlor einige Aufträge, und die Erfüllung der wenigen, die ich behalten konnte, erfüllte ich widerwillig. Rasch, nur rasch wollte ich mich jeder Verpflichtung entledigen, um Zeit für die wahre Zeit zu haben, die Stunden mit Meiner Geliebten . – »Du bist auf dem Weg zu mir.«
    Und seltsamerweise rief sie mich immer dann vom Museum aus an, wenn es mir gelungen war, mich auf eine

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