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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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mir das nicht heute erzählt hättest, hätte ich dich irgendwann danach gefragt. Es war schon nicht mehr zu übersehen …«
    Er verstand sofort. Vielleicht hatte er selbst Ähnliches erlebt. Unter den gegebenen Umständen kam ein gemeinsamer Urlaub nicht in Frage.
    »Du läufst ja wie ein offenes Messer herum, du kannst nicht mehr klar denken.« Er beugte sich zu mir, sodass seine Schulter die meine berührte: »Wir kriegen das hin.«
    Es war die heftigste Auseinandersetzung, die Judith und ich je miteinander gehabt hatten. Peter rief in unserem Studio an. Wir hatten alles genau verabredet. Ich richtete es so ein, dass Judith das Gespräch entgegennehmen musste.
    Sehr sachlich, ganz Auftraggeber, teilte Peter ihr mit: Die Pläne bezüglich der neuen Plakatserie hatten sich geändert. »Ich will euch natürlich nicht den Urlaub verderben, ihr habt euch eine Auszeit verdient, das weiß niemand besser als ich« , aber sollten wir nicht zur Verfügung stehen, müsse er den Auftrag – so leid es ihm tue – an ein anderes Studio vergeben. »Natürlich zahlen wir euch die Stornogebühren, das ist klar.«
    »Arschloch«, sagte Judith. Dann erst legte sie auf. »Es ist mir egal, wenn wir den Auftrag verlieren – ich fahre! Kommst du mit?«
    Ich brachte sie zum Flughafen. Die Zeit bis zum Check-in verging in Schüben. Ich ließ die Tafel mit den Abflügen im Auge. Ich wollte Judiths Handkoffer tragen. »Lass das!«, sagte sie scharf.
    Schweigend ging ich neben her bis zum Zollschalter. [ Das gab es damals noch, lachte er versonnen, Zollschalter … ] Mitten in unsere Wortlosigkeit hinein meinte sie: »Ich hätte nicht gedacht, dass es so weit mit uns kommen wird.«
    Es wäre sinnlos gewesen, ihr noch irgendetwas vorzumachen. Ich hätte auch gar nicht mehr die Kraft dazu gehabt. Ich sah, wie sie an den Schalter trat, sah zu, wie ihren Boardingpass zeigte. In mir war eine große Ungeduld, und ich konnte es kaum erwarten, bis sie endlich, endlich, endlich meinem Blick entschwinden würde. Es fiel mir nicht einmal auf, dass sie sich nicht mehr nach mir umwandte.

    »Da bist du endlich!«, und schlang ihre Arme um mich, verschränkte ihre Finger hinter meinem Nacken. Wir standen reglos, in die Einheit, die wir bildeten, versunken.
    Sie löste sich von mir, »Warte …«, sperrte die Eingangstür des Museums ab, nahm mich an der Hand. »Komm …«
    Wie ich bei meinem allerersten Besuch vermutet hatte, gab es hinter einer Tapetentür einen Gang, der parallel zu den Zimmern verlief und in einen fensterlosen Raum mündete, der – soweit ich dies im Schein einer nackten, wattarmen Glühbirne ausnehmen konnte, als Depot diente.
    Wir fielen übereinander her, als wäre uns die Erlaubnis dazu gegeben worden …

    Ich wachte von der Leichtigkeit meiner Gliedmaßen auf. Alle Schwere, die Last meines Doppellebens der letzten Monate, war aus ihnen gewichen. Ich vermeinte, nur kurz die Augen geschlossen zu haben. Mein Kopf lag an ihrer Schulter. In der Dunkelheit, die um uns herrschte, war jene Stellen, an der sich unsere Körper berührten, mein einziger Orientierungspunkt.
    Ich lauschte ihren gleichmäßigen Atemzügen, richtete mich behaglich ein in der Wärme, dieser Wärme eines späten Herbsttages, die von ihrem Leib ausging, und verlor erneut das Bewusstsein.

    Sie war aufgesprungen. Zum Zeichen, still zu sein, legte sie mir einen Finger auf den Mund, mit einem Griff an meine Schulter gab sie mir zu verstehen, liegen zu bleiben. Lautlos glitt sie von mir fort in die Dunkelheit und ließ mich allein zurück.
    Von jenseits der Wand, aus den angrenzenden Ausstellungsräumen drangen Stimmen zu mir. Jene des Kunststudenten erkannte ich sofort. Er redete über Anker und Hemmung, Schlagwerk und Unruhe. Längst war es Tag, das Museum hatte bereits geöffnet. So erschrocken war ich im ersten Moment darüber, dass die Situation mich erheiterte. Wie in einer Boulevardkomödie , dachte ich und hätte beinahe laut aufgelacht. Von dem Parallelgang, rief ich mir zu meiner Beruhigung ins Gedächtnis, wusste der Kunststudent gewiss nichts. Ich war also hier vor Entdeckung sicher, solange ich mich nicht durch ein Geräusch verriet. Ich lag regungslos und wartete auf die Rückkehr meiner Geliebten. [Ach, ich vergaß zu sagen: Sie wollte, dass ich sie so rief, Geliebte , immer nur: Meine Geliebte , in meinen Worten sollte ich sie so nennen, und – ich musste es ihr versprechen – in meinen Gedanken. Ihren richtigen Vornamen wollte sie mir zuerst

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