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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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danken.« Ich setzte zu einem Einwand an, er unterband ihn mit einer scharfen Handbewegung. »Es ist nicht selbstverständlich, einem fremden Menschen, der sich unaufgefordert zu jemanden an den Tisch setzt, so ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen, wie Sie es getan haben. Nun werde ich gehen und Sie nicht weiter belästigen.«
    »Tag für Tag, zwei Jahre lang«, entgegnete ich, eine Spur zu hastig, »zwei sinnlos zugebrachte Jahre lang kam ich hierher und stellte mich der Ereignislosigkeit ringsum als Beobachter zur Verfügung. Ich studierte Geschehnisse und Vorgänge, die nichtig waren. Ich saugte das Augenscheinliche und Offensichtliche ringsum in mich auf. Mehr tat ich nicht, bevor Sie kamen. Und ich weiß nicht«, das Geständnis drängte sich mir gegen meinen Willen über die Lippen, »ob ich noch damit fortfahren möchte, ob ich damit fortfahren kann, wenn sie gegangen sind. Ich nehme nicht an, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden.«
    »Unsere Zeit ist vorbei. Mein Dank beendet sie, wie der Schlag der Uhr die Stunde abschließt, während die weiteren Schläge nur sein Echo sind. Ich möchte daher nicht mehr viele Worte verlieren. Um Ihnen weitere Fragen zu ersparen: Judith lebt heute mit Peter. Ich weiß nicht, wie die beiden zusammenfanden. Ich freue mich, dass Judith schwanger ist, ein Schritt, zu dem wir uns in der Zeit unserer Ehe niemals durchringen konnten. Ich hoffe, dass sie einmal die Bereitschaft aufbringen wird, jene Geschichte anzuhören, die ich Ihnen erzählen durfte.«
    Er erhob sich, verbeugte sich kurz und sehr geschmeidig, kehrte mir mit entschlossenem Schwung den Rücken und ließ mich zurück.

    Eine Weile saß ich, unfähig zu entscheiden, welche der beiden sich bietenden Möglichkeiten ich wählen sollte, hier zu bleiben und fortzusetzen, wobei er mich unterbrochen hatte, oder aufzustehen und diesen Ort für immer zu verlassen.
    Als ich schließlich auf die Straße trat, schlug mir die Stadt entgegen mit ihren Menschen, Gebäuden.
    Mitten im Schritt hielt ich inne und wurde des gewaltigen Lärms aus dem Inneren der dünnwandigen Gehäuse gewahr, in denen die Zeit gefangen gehalten wird, hörte das höhnische Flüstern und Stammeln, das gewaltige Branden und Tosen der verstreichenden Sekunden, das sich aus den Uhren auf den freien Plätzen, in den Auslagen der Juweliergeschäfte und Antiquitätenläden, auf den Bahnhöfen und dem Flughafen, in den Foyers der Kinos und Theater, in den Wartehallen und an den Handgelenken der Passanten über mich ergoss.
    Mit jedem Vorrücken drangen die Zeiger tiefer ins Fleisch und schnitten die Zeit aus dem Tag.

    In dieser Nacht rief ich zum ersten Mal seit langem wieder Freunde und Bekannte an. Viele schliefen schon oder waren nicht zuhause. Ich hinterließ nichtssagende Nachrichten auf ihren Anrufbeantwortern. Mit manchen – Schlaflose, Nachtschwärmer, Einsame – führte ich belanglose Gespräche, an deren Ende wir übereinkamen, uns in den nächsten Tagen zu treffen.
    Ich hatte das dringende Bedürfnis, mich der Anwesenheit all dieser Menschen zu versichern, jedem einzelnen Menschen, dessen ich habhaft werden konnte, wollte ich mich ins Gedächtnis zurückzurufen, ohne dass mir – ich gebe es ehrlich zu – auch nur an einem von ihnen sonderlich viel lag.
    Die folgenden Monate verbrachte ich in wilder Hektik, als hätte ich in den letzten zwei Jahren sehr viel versäumt.
    Kurz nur – zu kurz! – widerstand ich dem quälenden Bedürfnis, den Wahrheitsgehalt jener Geschichte zu überprüfen, die mir der Fremde erzählt hatte. Ich machte mich auf die Suche nach dem Museum in der Hoffnung, dort festzustellen, ungezählte Nachmittage der allegorischen Lebensbeschreibung eines – gelinde gesagt – Entrückten aufgesessen zu sein.

    Es war eine dieser heruntergekommenen aus Mitteln einer Privatstiftung finanzierten Sammlungen, in denen sich seit Jahrzehnten weder die Anzahl noch Anordnung der Exponate geändert hat. Längst schon hatte die öffentliche Hand dem Museum jede Zuwendung entzogen, das Stiftungsvermögen reichte wohl gerade noch für die notwendigsten Instandhaltungsmaßnahmen. So waren im Laufe der Zeit die Räumlichkeiten selbst zum Ausstellungsstück geworden.
    Ich schlenderte durch die Zimmer. Der Aufseher hatte wenig Ähnlichkeit mit einem Kunststudenten. Jedes Detail, das von den Schilderungen des Fremden abwich, nahm ich mit wachsender Genugtuung zur Kenntnis. Zweifellos war er oft hierher gekommen und hatte sich viele

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