Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
Vom Netzwerk:
Einzelheiten eingeprägt, um damit sein Gespinst, die Ausgeburt seines verwirrten Geistes, in der Wirklichkeit zu verankern und seinen Ausführungen größtmögliche Glaubwürdigkeit zu verschaffen.
    Um mir letzte Gewissheit zu verschaffen, wandte ich mich an den Aufseher und bat um Auskunft. Ich gab vor, von der Existenz dieser Sammlung – ich sparte nicht mit Attributen wie beeindruckend und liebevoll – durch einen Freund erfahren zu haben. Besonders habe er mich auf ein Exponat hingewiesen. Für den Aufseher bestand kein Zweifel, welches ich meinte.
    Erwartungsvoll folgte ich ihm in das Zimmer mit dem stillgelegten Kamin. »Das ist sie«, sagte er und wies auf die zierliche Uhr auf dem Sims, in seiner Stimme schwang ein wenig Stolz mit, » La Princesse de Reims …«
    Tatsächlich, sie war, soweit ich dies beurteilen konnte, ein selten schönes Stück, feinste Miniaturarbeit. Der Detailreichtum offenbarte sich nicht auf den ersten Blick. Eine Vielzahl von Feinheiten ließ den Plan des Künstlers erahnen, alle Details der Gestaltung, Ornamentik und Ziselierung miteinander in eine geheimnisvolle Verbindung zu bringen und dadurch das Auge des Betrachters in ein faszinierendes Labyrinth zu locken.
    Leicht – viel zu leicht – fiel es mir, mir einzureden, allein dieses Kunstwerks wegen habe sich mein Besuch hier gelohnt.
    Ich stellte dem Aufseher dann noch – mehr um der Höflichkeit Genüge zu tun – verschiedene Fragen über die Geschichte der Sammlung, bekundete lebhaftes Interesse für die Beschaffenheit einer bestimmten Schnecke, eines Federzuges, eines Schlagwerkes, für den komplizierten Mechanismus einer ausgefallenen Spindelhemmung sowie – ich hatte mich vor meinem Besuch ein wenig informiert – für die Symbolik mancher Verzierung.
    Meine vorgetäuschte Fachkundigkeit freute den Aufseher. Er war – unschwer zu erkennen – ein Einsamer und sah in mir einen Gleichgesinnten, einen der wenigen in dieser Stadt – einsam wie er –, die die Existenz dieser Sammlung zu schätzen wussten.
    So gewann ich in sein Zutrauen und brachte schließlich – sehr unverfänglich, wie ich meinte – die Rede auf seine Kollegin.
    Er sah mich erstaunt an: »Sie auch?«
    Ich verstand nicht.
    »Immer wieder kommen Leute und fragen nach ihr. Aber hier arbeitet schon lange niemand mehr außer mir. Ich bin der einzige Aufseher.«
    Irgendetwas in meinem Blick musste ihn irritiert haben, nach einer kurzen Pause fügte er wie zu meiner Beruhigung hinzu: »Vielleicht setzt die Verwaltung die Dame, nach der Sie mich fragten, für Sonderführungen ein. Oder Sie vertritt mich, wenn ich Urlaub habe. Das wäre möglich. Ich jedenfalls kenne sie nicht.«
    Wie um mich für die Auskunft, die er mir zu geben nicht in der Lage war, zu entschädigen, fasste er mich am Arm, zog mich zu der Uhr auf dem stillgelegten Kamin zurück und sagte mit gedämpfter Stimme, als wolle er mir ein Geheimnis anvertrauen:.
    »Sie ist wahrlich eine Prinzessin … Niemand weiß, wie sie funktioniert. Unzählige Uhrmacher und Restauratoren haben schon versucht, hinter das Geheimnis ihres Mechanismus zu kommen, aber niemandem ist es bisher gelungen … Sie hat ein Leben in sich, das wir nicht durchschauen. Ihre Mechanik ist defekt, sagen die Fachleute. Doch manchmal beginnt sie zu schlagen, für wenige Sekunden nur, als glimme in ihr noch ein Funke Leben … – Ein schönes Stück , finden Sie nicht?«

    Ich kam nicht mehr zur Ruhe.
    Bei allem, was ich tat, hatte ich das Gefühl, so vieles zu versäumen. Ungeheurer Willenskraft bedurfte es, an Orten länger zu verweilen, Gespräche nicht einfach abzubrechen, indem ich aufstand, mich abwandte und eilig davonging, Kinofilme, Theatervorstellungen, Fernsehsendungen bis zu Ende auszusitzen.
    Wie sehnte ich mich nach jenen zwei Jahren, die ich damit zugebracht hatte, jeden Tag denselben Ort aufzusuchen und dort mehrere Stunden zu verbringen.
    Der Arzt, den ich auf Zureden von Bekannten zu Rate zog, verschrieb mir ein Beruhigungsmittel.
    Schon hatte ich berechtigten Anlass zur Hoffnung, wieder wie einst Tage mit dem Studium ihrer Ereignislosigkeit zu verbringen …
    Da sah ich IHN. Im ersten Moment erkannte ich ihn gar nicht. Sein Gesicht war von fahler Blässe, seine Augen lagen tief in umschatteten Höhlen. Nirgendwo verweilte sein Blick länger, stets irrte er unruhig umher.
    Seine Bewegungen waren fahrig. Gierig saugte er an der Zigarette, die sein Gegenüber – ein Mann mittleren Alters, von unscheinbarem

Weitere Kostenlose Bücher