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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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knallende Küsse, heiße Atemstöße, Kleiderrascheln, Parkettknarren.
    »Dich bedrückt etwas … Sorgst du dich? « Dann bestürmte sie mich mit lauten Fragen. »Ist es dein Beruf? Ach, vergiss es! Es ist nicht wichtig. Nichts ist wichtig außer dir und mir. Du brauchst nicht zu arbeiten. Die Leute wissen doch gar nicht zu schätzen, was du für sie tust. Ich verdiene genug hier, um mit dir davon leben zu können.« Sie erzählte mir von einer kleinen Erbschaft, die sie angeblich gemacht hatte. »Ich wollte es dir eigentlich später sagen …« Sie log so furchtbar ungeschickt.
    »Es ist wegen uns«, sagte sie schließlich.
    Ich wandte mein Gesicht ab zum Zeichen, dass sie Recht hatte.
    »Ja ...«, sie rückte von mir ab, »unseretwegen bist du so bedrückt.« Sie schaute mich an mit ganz engen Augen. »Was ist mit uns?« Sie schluckte leer, wie angespannt. Ich ließ mir Zeit. Viel Zeit.
    Doch sie durchschaute meine Absicht, meinen Ohren die nötige Stille zu verschaffen, um den Ausgangspunkt des Geräusches auszunehmen.
    »Du willst zurück!«, ihre Stimme überschlug sich trotz des leisen Tonfalls, in dem sie das sagte: »Du willst zurück zu deiner Frau!«
    Ich hielt den Kopf gesenkt, wandte ihr den Rücken zu, um meine von der Anstrengung des Horchens und Lauschens verzerrten Gesichtszüge vor ihr zu verbergen; schwieg.
    »Ist es das, was du willst? … Sag, ist es das? … Bitte, sag es mir … Ist es das? … Liebst du mich?« Ich stand reglos. »Liebst du mich noch? … Ich will es wissen … Sag: Ich liebe dich … bitte, sag es mir … sag es mir … es ist aus … ist es so? … Bist du gekommen, um mir das zu sagen … dass es aus ist … dann sag es mir … Es ist aus … Siehst du, es ist ganz leicht … Du musst es mir nur sagen … Es ist aus … Es ist aus … Es ist aus … Komm, sag es, bitte, sag es zu mir … ich bitte dich, sag es mir ins Gesicht … Bin ich es dir nicht wert? So sag schon: Es ist aus zwischen uns …«
    In diesem Moment hob ich den Kopf und … unsere Blicke trafen sich auf der Spitze des ziselierten Minutenzeigers der Princesse de Reims …
    Was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Ich finde in mir nur die Erinnerung an die Ewigkeit, da wir Hand in Hand vor dem übermächtigen Glassturz standen und andächtig dem melodischen Ticken lauschten, das uns traute und unseren Bund segnete.

    Was danach kam, vermag ich nicht anderes zu bezeichnen als Die weiße Stunde . Es war der Abgrund aller Zeiten, der Zeiten, die waren, und der Zeiten, die sind, und jener, die kommen werden. Darein stürzte ich Herz über Kopf.
    Alles löste sich auf in ein unendlich gleichmäßiges Strömen und Fließen von Zeit, die keine Gegenwart kannte, keine Vergangenheit und keine Zukunft.
    Oft hörte ich mich flüstern, unverständliche Worte, denen sie mit ruhiger Stimme etwas entgegnete, und in meiner Erinnerung klingt es manchmal, manchmal noch wie: »Du hast es bald überstanden …«

    Später versuchte ich zu ergründen, was geschehen war. Verschiedene Personen beschrieben mich als Ruhelosen, Getriebenen, unfähig, längere Zeit an einem Ort zu verweilen oder Gesprächen zu folgen. Ich habe keine Zeit , soll ich immer wieder, beinahe stereotyp gesagt haben. Ich habe keine Zeit, keine Zeit, keine Zeit … Und so verschaffte ich mir immer mehr Zeit, alle Zeit der Welt, die ich Meiner Geliebten widmen, Zeit, die ich – ich wage es kaum auszusprechen – IHR zum Opfer bringen konnte.
    Wie man keine Erinnerung an die größte Demütigung bewahrt, die man in seinem Leben erfahren hat, sondern eine schneidende Scham, so entsinne ich mich ihrer letzten Worte weit weniger, als dass ich sie heute immer noch verspüre …

    »Was sagte sie?«, konnte ich mich nicht enthalten zu fragen.
    Er sah durch die große Glasscheibe hinaus auf die Straße.
    Es regnete.
    Die Menschen draußen hatten es sehr eilig.
    Vielleicht hatte es eben erst zu regnen begonnen, vielleicht regnete es schon den ganzen Tag. Ich konnte es nicht mit Gewissheit sagen, wie mir seit geraumer Zeit schon jedwedes Bewusstsein dafür fehlte, was mein Leben sonst noch bestimmte außer unsere tägliche Verabredung hier in diesem Café, welche Verpflichtungen – wahrgenommene und versäumte – mich mit der Welt verbanden, in der Menschen eilig durch den Regen laufen.
    Ich kann nicht sagen – heute so wenig wie damals –, wie oft wir uns getroffen haben, wie viele Nachmittage wir hier an diesem Tisch gesessen hatten, ehe er an jenen Punkt seiner

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