Diabolos (German Edition)
das aus den Lautsprechern quillt – mehr oder weniger jede Rastanlage sieht so aus.
Haubold bahnt sich seinen Weg querfeldein. Von dem anderen ist nichts zu sehen, ebenso von einem genervten Koch oder einer gelangweilten Kassiererin. Dafür stehen auf jedem Tisch Aschenbecher. Mit dem Anti-Rauchergesetz scheint man es im ›Naheblick‹ nicht allzu genau zu nehmen.
Schließlich biegt Haubold in den Korridor ein, der links neben der Essensausgabe abzweigt. Vorbei an billigen gerahmten Bildern, einem blinkenden Spielautomat und – natürlich – dem Zigarettenautomat. Neben den Toiletteneingängen steht ein Campingtisch samt passendem Stuhl. Das Domizil der Toilettenfrau. Ebenfalls verwaist. Neben dem aufgeschlagenen Rätselheft steht der obligatorische Teller. Ein paar 10-Cent- und 20-Cent-Münzen schwimmen auf der Oberfläche. Typisch. Die wenigsten geben überhaupt was. Wozu auch? Die Tussi ist doch selbst schuld, wenn sie so einen erniedrigenden, kraftzehrenden Job annimmt. Ellbogendenken. Dass die Person dahinter womöglich für jeden noch so geringen Beitrag dankbar ist, das schert die anderen einen Dreck. Nicht aber Haubold. Er lässt immer mindestens einen Euro zurück; aber stets, nachdem er Blase und/oder Darm entleert hat.
Der erste Eindruck, nachdem er die Herrentoilette betreten hat? Scheint sauber zu sein. Statt nach Pisse riecht es nach Zitrusduft. Die Pissoire sind verwaist. Die hintere Kabine besetzt. Gut. Haubold mag nämlich keine Zuschauer. Entschlossen steuert er das nächste Pissoir an und lässt es laufen. Herrlich.
Ein fremdes Gesicht begrüßt ihn vom Spiegel über dem Waschbecken. Ausgezehrt. Kraftlos. Das Haar schütter, die Wangen eingefallen. Dunkle Ringe unter den Augen. Das Namensschild noch immer an die Brusttasche des Hemdes gepinnt. Für Haubold hat dieser Anblick etwas tragisch-komisches; wie ein weinender Clown.
»Welches Leben?«, seufzt er und legt die Hände unter den Wasserhahn. Das kalte Nass spritzt er sich ins Gesicht. Er ist so kaputt – so … müde.
Aus der Kabine dringt ein Wimmern.
Haubold erstarrt. Seine Augen rollen langsam nach rechts. Das Wimmern wird durch ein Stöhnen ersetzt. Prompt verkrampft sich sein Magen. Was geht da vor? Verstopfung klingt anders.
Vielleicht holt er sich einen runter. Möglich. Oder er lässt sich einen blasen – von einem anderen Mann. Nicht ausgeschlossen. Vielleicht ist es auch ein autoerotischer Unfall. Das wäre cool! Ungewollte Strangulation während des Masturbierens. Ist nicht auch dieser eine Schauspieler daran gestorben?
Trotzdem hält es Haubold für keine besonders gute Idee, hier noch länger zu verweilen. Schnell zieht er ein paar Papiertücher aus dem Spender, trocknet sich die Hände und sieht zu, dass er Land gewinnt. Draußen fischt er einen Euro aus der Hosentasche. Die Münze landet klimpernd im Teller. Noch immer keine Spur von der Toilettenfrau.
Dafür sind ein paar der Tische besetzt. Die Männer tragen im Grunde das gleiche Outfit wie Haubold: dunkle Hosen, graue Jacketts, weiße Hemden, unifarbene Krawatten – und Namensschilder. Mit großen Augen starren sie ihn an, ehe ihre Blicke zurück auf die Tischoberfläche wandern. Ein paar von ihnen rauchen, andere nippen an ihren Kaffeetassen. Noch immer dudelt der Oldie-Sender vor sich hin.
Kaffee. Gute Idee. Haubold steuert die Essensausgabe an. Immer wieder starrt er zu den anderen rüber. Die nächste ausgezehrte Gestalt betritt die Gaststätte. Der Mann trägt ebenfalls das gleiche.
Erst jetzt fällt Haubold das Banner über dem Eingang auf. Die Worte sind spiegelverkehrt. Soll dass … WILLKOMMEN heißen? Findet hier eine Art Meeting statt; irgendeine Konferenz?
Aber doch nicht mitten in der Nacht. Vielleicht aber doch. Der moderne Kapitalismus treibt mitunter die seltsamsten Blüten.
Es gibt bestimmt eine logische Erklärung dafür , denkt Haubold und stellt die Tasse unter den Automat. Als ihm jemand auf die Schulter tippt, zuckt er zusammen und verbrennt sich prompt die Hand.
»Verschwinden Sie«, haucht ihm eine Stimme ins Ohr. Der warme Atem kitzelt ihn. »Solange Sie noch können!«
Als er sich umdreht, steht er einem weiteren Quasi-Doppelgänger gegenüber. Glitzernde Spuren verlaufen über die kantigen Züge des Mannes. Tränen? Verwirrt blinzelt Haubold sein Gegenüber an. Längst ist er nicht mehr müde. Dafür läuft es ihm jetzt eiskalt den Rücken runter.
»Schleichen Sie sich an der Theke vorbei in die Küche. Da gibt es einen
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