Diabolus
seinen Augen, auf dem soeben ein kleines Anzeigefenster Gestalt annahm. Wie in Zeitlupe legte Charturkian den Hörer wieder auf. In seinen acht Monaten als NSA-Sys-Sec hatte Phil Charturkian auf dem TRANSLTR-Kontrollmonitor noch nie eine Anzeige gesehen, die nicht mit zwei Nullen begann. Heute war es zum ersten Mal anders. BISHERIGE RECHENZEIT: 15:17:21
»Fünfzehn Stunden und siebzehn Minuten?«, keuchte er.
»Das gibt es doch nicht!« Mit einem Stoßgebet zum Himmel schaltete er den Bildschirm aus und ließ ihn gleich wieder hochfahren in der Hoffnung, dass es eine fehlerhafte Anzeige gewesen war. Das Ergebnis blieb unverändert. Charturkian fröstelte. Als Sys-Sec für die Crypto hatte er vor allem eine Aufgabe: Den TRANSLTR
»sauber« zu halten - frei von Viren. Eine Rechenzeit von fünfzehn Stunden konnte nur eines bedeuten: Verseuchung. Eine verseuchte Datei war in den TRANSLTR gelangt und legte die Programmierung lahm. Charturkians Reflexe setzten ein. Das verlassene Sys-Sec-Lab und der abgeschaltete Bildschirm waren jetzt nebensächlich, nur das anstehende Problem zählte noch - der TRANSLTR. Er rief umgehend die Liste der in den letzten achtundvierzig Stunden eingegebenen Dateien auf und ging sie durch. Sollte tatsächlich eine infizierte Datei durchgekommen sein?, rätselte er. Ist den
Sicherheitsfiltern etwas entgangen? Als Vorsichtsmaßnahme musste jede in den TRANSLTR eingegebene Datei zuerst im
»Gauntlet«-Filter durch eine Reihe starker Circuit Level Gateways, Paketfilter und Antivirenprogramme sozusagen Spießruten laufen. Gauntlet filzte die ankommenden Dateien auf Computerviren und potenziell gefährliche Subroutinen. Wenn Dateien Programmierungen aufwiesen, die Gauntlet nicht kannte, wurden sie gnadenlos zurückgewiesen und mussten noch einmal von Hand überprüft werden. Wegen unbekannter Programmbefehle hatte Gauntlet auch schon völlig harmlose Dateien zurückgewiesen, die von der Sys-Sec-Abteilung anschließend im Handbetrieb eingehend überprüft und für harmlos befunden worden waren. Erst dann, und nur dann, wenn absolut sichergestellt war, dass eine Datei »sauber« war, durfte sie unter Umgehung des Filtersystems direkt in den TRANSLTR eingegeben werden. Computerviren standen in ihrer Vielfalt den natürlichen Viren in nichts nach. Wie ihre physiologischen Brüder kannten sie nur ein Ziel: in einen Wirt eindringen und sich vermehren. Im vorliegenden Fall war der Wirt der TRANSLTR. Charturkian konnte nur darüber staunen, dass die NSA nicht schon längst Probleme mit Viren bekommen hatte. Das Gauntlet-System war bestimmt ein guter Wächter, aber die NSA war sozusagen ein Schlammfresser, der riesige digitale Informationsmengen aus allen möglichen und unmöglichen Quellen der ganzen Welt wahllos in sich hineinschaufelte. Die Datenschnüffelei hatte gewisse Ähnlichkeiten mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr - Schutz hin oder her, früher oder später fing man sich eben etwas ein. Als Charturkian am Ende der Auflistung angekommen war, wunderte er sich noch mehr als zuvor. Jede Datei war überprüft worden. Gauntlet hatte nichts Auffälliges bemerkt. Die Datei im TRANSLTR war vollkommen sauber.
»Warum zum Teufel dauert es dann so lang?«, rätselte er in den leeren Raum hinein. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Ob er Strathmore stören sollte?
»Ein Antivirenprogramm«, sagte er laut und bestimmt.
»Du musst ein Antivirenprogramm laufen lassen.« Es wäre ohnehin das Erste gewesen, was Strathmore zu tun verlangt hätte. Mit einem Blick hinaus in die verlassene Crypto- Kuppel entschloss sich Charturkian, das Antivirenprogramm zu laden und in den Rechner zu schicken. Das Ergebnis würde ihm in etwa einer Viertelstunde vorliegen.
»Komm bloß schön sauber wieder zu Papi zurück!«, flüsterte er beschwörend. Aber Charturkian fühlte, dass er sich nicht »vertan« hatte. Instinktiv wusste er, dass sich in den Eingeweiden des großen Dechiffrierungsungetüms etwas Außergewöhnliches tat.
KAPITEL 10
Ensei Tankado ist tot? Man hat ihn also doch umbringen lassen? Ich dachte, Sie hätten gesagt . . .« Susan wurde es flau im Magen.
»Wir haben ihn nicht angerührt«, sagte Strathmore beruhigend.
»Er ist an einem Herzinfarkt gestorben, COMINT hat sich heute früh telefonisch gemeldet. Ihr Computer ist über Interpol in einem Verzeichnis der Polizei von Sevilla auf Tankados Namen gestoßen.«
»Herzinfarkt?« Susan sah Strathmore zweifelnd
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