Diagnose zur Daemmerung
sie weiß davon?«
»Allerdings. Durch unseren Besuch wecken wir sie wahrscheinlich auf.«
»Catrina braucht dir bloß erklären, dass sie für einen Vampir Blut besorgt, und ihr glaubst du? Wow.« Ich hatte immerhin Jorgen, um zu beweisen, dass ich die Wahrheit sagte. Was hatte Catrina wohl vorzuzeigen?
»Hey, immerhin sehe auch ich gewisse Dinge«, protestierte er.
»Aber begegnet bist du ihr nie«, hakte ich nach.
»Nein. Das muss ich auch gar nicht. Allein indem ich hier herumlaufe, merke ich, was sich durch sie alles verändert hat. Sieh dich doch um: kein Müll auf den Straßen, die Geschäfte sind nachts geschlossen, aber niemand bricht ein. Die Kinder, die in ihrem Gebiet leben, haben genug zu essen. Ich weiß zwar nicht, wie sie es macht oder welche Gesetze sie dafür bricht, aber genau das wünsche ich mir für unser gesamtes Viertel.« Er blickte sich auf der leeren Straße um. Die Anwohner waren glücklich zu Hause, schliefen oder starrten in ihre Fernseher, deren Ton durch die geöffneten Fenster nach draußen schallte.
Normalerweise zeigten sich Vampire nicht dermaßen hilfsbereit. Alle Vampire, denen ich bisher begegnet war, hatten drei Dinge auf ihrer Prioritätenliste stehen: Was sie wollen, was sie wollen, und wie du ihnen dabei behilflich sein kannst, es zu bekommen.
»Und wenn hier irgendetwas schiefgeht«, fuhr er fort, »ist sie stark genug, um sich dem Kampf zu stellen.«
»Kampf? Gegen wen?«, fragte ich, doch gleichzeitig wurde mir klar, dass ich die Antwort bereits kannte. »Montalvo.«
»Und seine Männer, ja. Sie ist stärker als ich, und sie wird länger leben, das ist mal sicher.«
Was nicht besonders beruhigend klang. »Hector …« Ich wusste immer noch nicht, wie ich meine Mom retten konnte. Aber es waren nur noch wenige Tage bis zum Siebzehnten, der irgendetwas Schlimmes über Hector und seine Klinik bringen würde. Meine Mom hatte sicher noch etwas mehr Zeit. Wir bogen um eine Ecke, und Hector blieb stehen.
»Da wären wir.«
Eigentlich war es eine künstlich geschaffene Sackgasse, in die wir eingebogen waren, auch wenn sie eher wie eine Art Innenhof wirkte. Am Ende des Blocks wurde der Weg durch eine Barrikade versperrt: Wie auf einem Schrottplatz waren Autos aufeinandergestapelt worden, sie erinnerten mich an riesige, stählerne Legosteine. Das konnte kein Mensch geschaffen haben.
»Wow.«
»Wir haben es fast geschafft«, erklärte Hector. »Mich werden sie wohl nicht reinlassen, aber dich eventuell schon, wenn ich für dich bürge.«
Ich nickte überwältigt. »Versuch es, bitte.« Wer auch immer sich darin versteckte, war kein Scharlatan. Kein menschliches Wesen konnte Autos so aufstapeln, zumindest nicht ohne einen Lastenkran. Jorgen zu folgen, der mich höchstwahrscheinlich zu Dren bringen würde, war mein Worst-Case-Szenario. Wenn ich es irgendwie schaffen konnte, einen scheinbar halbwegs anständigen Vampir dazu zu bringen, meiner Mom zu helfen – einen, der nicht so selbstsüchtig und krank im Kopf war –, dann würde ich das tun.
Wir hatten die irre Konstruktion erreicht, die aus der Nähe nicht mehr ganz so massiv aussah, wie die Schatten am Ende des Blocks es hatten vermuten lassen. Im Prinzip war es eine doppelte Festungsmauer, in deren Innerem sich Hohlräume und Tunnel befinden mussten, denn ich sah zwischen den Autoreihen Frauen auf und ab wandern – offenbar Patrouillen.
Hector und ich warteten, bis zwei Frauen zu uns herauskamen.
»Ein bisschen spät für eine entrega de sangre, médico .«
»Heute Nacht gibt es kein Blut. Ich habe eine Freundin mitgebracht, die mit der Königin sprechen muss.« Sanft schob er mich nach vorne. Nun konnte ich auch sehen, dass beide Frauen Maschinenpistolen trugen, und das voller Selbstverständlichkeit.
»Keine Besucher erwünscht.« Anscheinend konnten sie Jorgen nicht sehen, obwohl er direkt neben mir stand.
»Bitte, bringt jemanden raus, der über die don verfügt. Sie ist etwas Besonderes, und ihr Anliegen ist dringend.«
Sie berieten sich kurz und gaben die Nachricht dann weiter. In der Zwischenzeit fragte ich mich, wozu die Maschinenpistolen eigentlich benutzt wurden. Drinnen rief jemand in entspanntem Tonfall: »Hey, médico !«, anschließend kam eine Frau um die Ecke und blieb abrupt stehen, als sie mich erkannte.
»O nein, nicht du …« Es war Catrina. Dann wanderte ihr Blick weiter zu Jorgen, und ihr entgleiste das Gesicht.
»Was zum …« Hastig bekreuzigte sie sich.
»Hi, Catrina.« Ich
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