Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
Vom Netzwerk:
gewirkt hatte.
    »Komm her«, befahl Dren erneut.
    »Nein.« Er klang zwar geschwächt, aber das hieß noch lange nicht, dass es sicher war, da blind reinzuspazieren. »Warum kommst du nicht zu mir? Ich brauche deine Hilfe, um das Mädchen zu retten.«
    »Momentan bin ich nicht in der Lage, irgendjemanden zu retten. Jetzt komm endlich.« Es folgte eine lange Pause, dann fügte er ein Wort hinzu, das ich aus seinem Mund niemals erwartet hätte: »Bitte.«
    Das war außergewöhnlich – und beängstigend. »Sag mir, was hier los ist, Dren. Und zwar schnell.«
    »Edith … ich bin geschwächt. Sie haben …« Seine Stimme wurde immer leiser. »Wenn du das Licht anmachst, entdecken sie uns vielleicht. Und uns bleibt nicht viel Zeit, bis er zurückkommt. Beeil dich!«
    »Womit soll ich mich beeilen?«
    »Mir zu helfen, verdammt! Bitte!«
    Da fiel mir diese eine Lektion über Vampire ein: Sie waren an ihre Ehre gebunden – und an ihren Schwur. »Schwöre, mir nichts anzutun.«
    Dren stieß ein trockenes Lachen aus. »Ich schwöre es. Ich könnte sowieso keiner Fliege etwas zuleide tun. Komm näher, Edith. Ich werde mich auf dich stützen müssen.«
    Weiter hinten im Raum bewegte sich etwas, Stoff raschelte, dann klimperte Metall. Ich trat über die Schwelle, machte noch einen Schritt und wartete dann, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dren befand sich auf einem Metalltisch, unter einer Art Laken oder Kittel.
    »Jetzt komm schon.« Ich winkte ihm, damit er sich in Bewegung setzte. Die seltsame Spannung, die ich gespürt hatte, als ich dieses verfluchte Haus betreten hatte, wurde mit jedem Moment stärker. Jetzt wurden aus den pieksenden Nadeln beißende Zähne.
    »Ich kann nicht, du musst mir helfen.«
    »Und schwöre, dass du meiner Mom helfen wirst«, ergänzte ich verspätet.
    »Ich schwöre es, aber jetzt schwing verdammt noch mal deinen Arsch hierher«, zischte er.
    Hin-und hergerissen stand ich da, hilflos wie ein Kind, das schreckerstarrt dem Grauen eines Spukhauses ausgeliefert ist. In keinem der beiden Räume erwartete mich etwas Gutes, und ich hatte das Gefühl, als würde diese ganze Situation mit jeder Minute schlimmer. Jetzt hieß es handeln oder abhauen, und zwar verdammt schnell und ohne noch einmal zurückzublicken.
    Stattdessen lief ich durch den dunklen Raum, bis ich neben Drens Lager stand und das Tuch entfernte. Gurte über Brust, Bauch, Oberschenkeln und Füßen fesselten ihn an den Tisch. Mit zitternden Händen riss ich sie ab, knotete die Enden auf, bis er frei war. Als sich der letzte Riemen löste, seufzte er erleichtert und setzte sich auf.
    Unsicher schob er die Beine über die Kante, legte mir einen Arm um die Schultern und glitt vom Tisch. Er humpelte, als könnte er nur ein Bein belasten. Und genau das war der Fall. Ich musterte auch seinen zweiten Arm, der schlaff herabhing.
    »Es sind die Knochen. Sie nehmen sie jede Nacht raus, immer abwechselnd. Dann wachsen sie nach, und sie holen sich die nächsten.« In seiner Stimme schwang leiser Wahnsinn mit.
    Ich biss die Zähne zusammen, um mich nicht zu übergeben, und marschierte los. Stolpernd hielt er sich an meiner Seite. Okay, okay, okay. Zieh es durch. Du darfst nicht weglaufen.
    »Jorgen wartet draußen.«
    »Gut, dann lass uns gehen«, erwiderte Dren und lehnte seinen Kopf an meinem Hals.
    Lieber hätte ich noch einmal die alte Großmutter gerettet als Dren. Dieser Ort war um so vieles schlimmer als der Abflusskanal, in dem ich sie gefunden hatte. Dort war es nur der Müll gewesen, in diesem Haus schlug mir jedoch reine Grausamkeit entgegen. Irgendjemand hatte Dren das angetan; und Adriana war ihnen noch immer ausgeliefert.
    »Können wir sie irgendwie …«, setzte ich an, auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich beide schleppen sollte. Und Dren konnte noch nicht einmal beide Arme einsetzen.
    »Nein. Sie ist schon so gut wie tot. Und jetzt Beeilung, lauf«, drängte er.
    Ich rettete also den Vampir, nicht das Mädchen. Und sicherlich wusste sie, dass wir sie im Stich ließen. Natürlich hatte sie es viel eher verdient, gerettet zu werden, doch Dren war der Einzige, den ich überhaupt hier rausbringen konnte. Es fühlte sich absolut falsch an, aber mir fiel einfach keine Möglichkeit ein, wie ich diesen Stahlknoten an ihrem Käfig öffnen sollte.
    »Ich komme wieder«, flüsterte ich in Richtung des Knochenzimmers und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie mich hören und verstehen würde.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher