Diagnose zur Daemmerung
betrat, schob ich sie weiter auf und spähte hinein. Es war dunkel. Erschreckend dunkel.
Aber ich tat es für meine Mom. Ich würde herausfinden, was mit Adriana geschehen war, und dann war Luz mir etwas schuldig. In meinem Hinterkopf meldete sich eine leise Stimme, die mir eindringlich erklärte, was für eine blöde Idee das war. Ich befahl ihr, verdammt noch mal die Klappe zu halten.
Vorsichtig schob ich eine Hand durch die Tür und tastete nach einem Lichtschalter. Als ich in die Dunkelheit eintrat, spürte ich eine seltsame Spannung in der Luft. Am äußersten Ende meiner Reichweite befand sich ein gesprungener Plastikschalter, den ich eilig drückte. Doch er aktivierte keine Deckenlampe hier unten, sondern ein Licht am oberen Ende einer Treppe, die kurz hinter der Tür begann. Ich trat über die Schwelle und spürte wieder diesen seltsamen Druck – als würde etwas über meine Haut streichen und sich unter meine Kleidung schieben, ein feines Prickeln wie von Nadeln oder leichten Stromstößen.
Und hier drin roch es seltsam. Genauer gesagt stank es schlimmer als Jorgens Atem, und zwar nach verwesendem Fleisch. Kein gutes Zeichen. Mit einer Leiche hatte ich ja gerechnet, aber dieser Geruch deutete auf wesentlich mehr hin.
Jorgen war mir gefolgt und spähte nun zu mir hinein. Angespannt lehnte er sich vor, stieß aber offensichtlich gegen eine Art Barriere. Vielleicht lag das an dieser seltsamen Spannung, die ich hier spürte.
»Kannst du reinkommen?« Ich pfiff auf den Mann in der Gasse – mir war wesentlich wohler, wenn ich Jorgen als Rückendeckung dabeihatte.
Der Spürhund schüttelte den Kopf. Dieses seltsame Prickeln in der Luft hielt ihn also tatsächlich draußen. »Mist.«
Momentan stand ich in einer Art Eingangshalle, von der mehrere Räume abgingen. Rechts und links gab es jeweils zwei Türen, dazu kam die Treppe, die in den ersten Stock führte. Wohin sollte ich gehen? Ich versuchte es zunächst mit der ersten Tür auf der rechten Seite, doch dann hörte ich ein Stöhnen.
Von oben. War ja klar.
Da ich gehofft hatte, dass Jorgen mir folgen oder wenigstens in Sichtweite bleiben würde, hatte ich die Eingangstür offen gelassen. Als ich den Fuß auf die Treppe setzte, knarrte sie laut. Die nächsten drei Stufen nahm ich vorsichtiger, dann drehte ich mich noch einmal zu Jorgen um.
Natürlich hatte ich damit gerechnet, in dieser Nacht furchtbare Dinge tun zu müssen – aber ich hatte nicht gedacht, dass ich dabei vollkommen allein sein würde.
Kapitel 28
So leise wie möglich schlich ich nach oben. Vom Treppenabsatz gingen ebenfalls mehrere Türen ab.
Wieder ein Stöhnen, diesmal lauter und länger. Aber ich konnte nicht erkennen, woher es kam – von der Tür vor mir oder doch von der weiter links? Ich entschied mich für die erste und öffnete sie.
Hier war der Gestank unerträglich. Als Krankenschwester konnte ich den Tod in mindestens zehn verschiedenen Formen riechen, und Dinge wie Maden in einem brandigen Bein schreckten mich längst nicht mehr, aber das hier war schlimmer. Und natürlich war es auch in diesem Raum wieder stockdunkel. Feuchtigkeit hing in der Luft, wahrscheinlich vom Regen, aber auf meiner Haut fühlte es sich an wie modrige Nässe. Es kostete mich viel Überwindung, nach einem Lichtschalter zu tasten. Schließlich landeten meine Finger auf einem glatten, runden Gegenstand. Irritiert klopfte ich die Wand ringsum ab und fühlte noch mehr seltsame Gegenstände. Langsam geriet ich in Panik. Während ich tief durchatmete, versuchte ich mir vorzustellen, wo in diesem verfluchten Haus die Lichtschalter sein müssten, wenn es nach den üblichen Plänen erbaut worden war. Dann versuchte ich es noch einmal und fand zwischen diesen glatten Formen einen Plastikschalter.
Diesmal war das Licht hell genug, um das gesamte Zimmer zu erleuchten. Wodurch ich sehen konnte, dass die seltsamen Dinger an den Wänden, die ich ertastet hatte, nichts anderes waren als … Knochen.
»O mein Gott.« Die gesamte Wand, in der sich die Tür befand, war mit Knochen verkleidet: lange Oberschenkel-und kleine Fußwurzelknochen, zwischen die man Bruchstücke mehrerer Schädel geklemmt hatte. Die ganze Wand, die halbe Decke, ein Teil des Bodens – alles lückenlos präpariert.
Vorsichtig ging ich hinein, immer darauf bedacht, möglichst nichts zu berühren. Die Knochen waren nicht alle sauber und gebleicht, was auch den Gestank erklärte. An einigen hingen noch Fleischreste und
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