Diamantenschmaus
Das
bedeutete bei ihr zwar nicht fünf Mal am Tag, jedoch ebenso wenig nur einmal im
Monat. Nein, sie wollte das, was Mario und sie bis vor wenigen Wochen praktiziert
hatten.
Klar, er hatte fast nie Zeit gehabt, war nur selten abends
bereits daheim, wenn sie zu Bett ging. Jedoch wenn er einmal da war, dann ist
er auch wirklich da gewesen, und das hundertprozentig. Bis vor Kurzem eben. Und
jetzt das.
Wahrscheinlich war es nur eine schlechte Phase ihres Mannes,
tröstete sie sich. Möglicherweise auch eine Reaktion darauf, dass sie ihn vor
der Standesbeamtin versetzt hatte, schoss es ihr durch den Kopf und sie
erschrak. Um Himmels willen, hatte sie durch ihr Verhalten Mario vielleicht
vergrault?
Wie auch immer, er verdiente Geduld und jede Hilfe von ihr,
die sie ihm geben konnte. Eventuell sollte sie sich als Erstes dieses schwarze
Nichts von Spitzenunterwäsche zulegen, das ihr letzte Woche zu gewagt
erschienen war?
Wilma musste bei dem Gedanken, vor Mario einen Strip im
schwarzen Stringtanga hinzulegen, lächeln. Im Moment verspürte sie zwar nicht
die geringste Lust dazu, allerdings konnte sich das rasch ändern.
Wie hieß es doch so schön: Der Appetit kommt mit dem Essen.
Da war sie sich sicher, ziemlich zumindest.
*
Wieder zurück im Büro, stellte Palinski fest,
dass seine älteste Tochter in seiner Abwesenheit angerufen und eine Nachricht
auf Band hinterlassen hatte.
Obwohl die in der Nähe von Bozen lebende Silvana bereits
ihrem 29. Geburtstag entgegensah, kannten Vater und Tochter einander erst seit
etwa zweieinhalb Jahren. Und dass er bereits acht Monate später das erste Mal
Großvater geworden war, wäre wohl eine Eintragung ins Buch der Rekorde wert
gewesen.
Für den April, also ungefähr in fünf Wochen, erwartete der
kleine Luigi ein Schwesterl, das nach aktuellem Wissensstand des werdenden Opas
auf den Namen Carina getauft werden sollte.
Palinski wurde ganz warm ums Herz, wenn er an den ihm wie
beiläufig zugewachsenen Südtiroler Teil der Familie dachte. Er nahm sich fest
vor, im kommenden Monat ein paar Tage in Bozen und Umgebung einzuplanen, um
zumindest bei der Geburt dieses Enkels präsent zu sein. Bei der Ankunft Luigis
war ihm das leider nicht möglich gewesen. Aus besonders wichtigen Gründen, wie
er sich ganz genau erinnerte, die er heute nicht einmal mehr benennen konnte.
So war sein bisheriges Leben eben gelaufen, aber das sollte
sich ändern. Es war entscheidend, die Prioritäten neu zu setzen und die Dinge
zu tun, die wirklich wichtig waren. Immerhin ging er rasant auf die 50 zu und
da wurde Zeit immer kostbarer.
Apropos Zeit. Es war jetzt kurz vor 19.30 Uhr und damit
hatte er ausreichend Gelegenheit, um vor seinem Restauranttermin mit
Heidenreich noch ein wenig mit seinem ›neuen‹ PC herumzutun. Palinski freute
sich wie ein kleines Kind, dass seine persönliche Krücke zur Umwelt nunmehr
wieder funktionierte. Und das mit allen Funktionen.
Er war Maja und Jan wirklich dankbar und überrascht, wie
glücklich man sein konnte, wenn etwas scheinbar Alltägliches, das plötzlich
seinen Geist aufgegeben hatte, wieder klaglos funktionierte und damit aufs Neue
etwas ganz Besonderes geworden war, für einige Weile zumindest. Schade nur,
dass man die erhellenden Erkenntnisse solcher Momente nicht länger bewahren
konnte, sondern rasch wieder unzufrieden wurde.
Palinski schaltete den Fernsehapparat ein, um die ersten
Abendnachrichten der TV Austria nicht zu versäumen. Er war baff. Zwar hatte er
mitbekommen, dass etwas und was da am Grinzinger Friedhof passiert war, doch
dass eine in Verlust geratene Leiche die seit Monaten die Schlagzeilen
beherrschenden gravierenden Meinungsverschiedenheiten der beiden großen
Parteien bei der Bildung einer neuen Regierung so locker aus der ersten Reihe
der Schlagzeilen boxen konnte, hätte er sich nie und nimmer gedacht.
Das war wirklich eine Geschichte aus dem prallen Leben, mit
Saft und Kraft, die alles aufwies, was eine echte Sensation ausmachte.
Palinski war zunächst gar nicht bewusst, wie
pervers es klang, den wie auch immer eingetretenen Verlust eines prominenten
Toten auf einem Friedhof als besonders vitale Angelegenheit zu bezeichnen, aber
irgendwie stimmte es. Denn was die vielen Lebenden, die da zu Wort kamen, so
über den Toten und seine verlustig gegangene Hülle von sich gaben, war
teilweise von einer morbiden Komik, die gleichzeitig erfreulich lebensbejahend
wirkte.
Irgendwann nach mindestens fünf Minuten
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