Diamantenschmaus
zornige Schreiben von einer Helene
Brandl, Vizepräsidentin des VSPR (Verein zum Schutz vor Passivrauchen)
e. V.
»Ich kann die Aufregung ja verstehen«, konzidierte
Heidenreich. »Andererseits kommen wir nicht darum herum, dass dieser Brief eine
handfeste Drohung beinhaltet. Oder zumindest einen Passus, der so verstanden
werden könnte. Ich habe jemanden zu Frau Brandl geschickt, um sie zur
Einvernahme abzuholen, aber sie war leider nicht zu Hause.«
Wo hatte er diesen Namen heute gehört oder gelesen,
überlegte Palinski. Ach ja, in der Zeitung, auf der Seite mit der
Programmvorschau.
»Ich glaube, ich weiß, wo du die energische Dame
in den nächsten ein, zwei Stunden antreffen kannst«, verriet er dem Inspektor
und blickte dabei auf seine Armbanduhr.
*
Die heutige Ausgabe der beliebten
Diskussionssendung ›Mit spitzer Zunge‹, die sich mit dem Thema ›Rauchverbot in
der Gastronomie – Gesundheitspolitisches Muss oder wirtschaftliche
Katastrophe?‹ auseinandersetzte, hatte wegen der Überlänge der vorangegangenen
zweiten Abendnachrichten mit einigen Minuten Verspätung begonnen.
Nach Vorstellung der fünf anwesenden TeilnehmerInnen an der
sehr kontroversiell erwarteten Diskussion kam der Moderator, Chefredakteur
Helge Buchreiter von den Wiener Zeiten, auf den sechsten, nicht erschienenen
Diskutanten zu sprechen.
»Heute gegen Mittag hat die Polizei die Leiche von Karl
Lesonic entdeckt. Von jenem Karl Lesonic, der jetzt eigentlich hier unter uns
sitzen und über das Rauchen«, er korrigierte sich rasch, »besser, über das
Nichtrauchen diskutieren sollte.«
Anschließend begann Buchreiter, den ›Raucher der Nation‹, wie
er den an der Teilnahme Verhinderten halb scherzhaft apostrophierte, zu
würdigen. Soweit es am Leben eines Menschen, dessen einziges Ziel es war, Tag
für Tag mindestens 40 starke, filterlose Zigaretten zu pofeln, etwas zu
würdigen gab.
Wie auch immer, Lesonic hatte auch hier eine
überraschend starke Lobby, wie der rege Applaus nach Buchreiters Ausführungen
schließen ließ.
»Leider gibt es für einen Gast wie Karl Lesonic
keinen adäquaten Ersatz. Wie haben uns dennoch bemüht, ein so gleichwertiges
Äquivalent wie möglich zu ermitteln«, tönte Buchreiter. »Aus diesem Grund haben
wir uns entschlossen, die Journalistin Monika Drishofen von Effektiv, die
mehrere Interviews mit Herrn Lesonic geführt hat und allgemein als gute Kennerin
des Mannes gilt, einzuladen, um die Positionen des ›Rauchers der Nation‹ so
originalgetreu wie möglich in die Diskussion mit einzubringen.«
Das war zwar nicht unseriös, aber der Tod jeder
lebendigen Diskussion, dachte Palinski, der mit Wilma bei einer guten Flasche
Wein im Büro saß, um das Unvermeidliche nicht zu versäumen. Wie konnte selbst
das engagierteste Argument gegen die in Form und Inhalt feststehenden Zitate,
noch dazu eines toten Pseudohelden, durchdringen und nachhaltigen Eindruck
hinterlassen? Da bestand vielmehr die Gefahr, dass sich die Sendung in ein
Lesonic-Memorial verwandelte. Vielleicht, ja hoffentlich lag er damit falsch,
allerdings … Er sah zu Wilma und zuckte bedauernd mit den Achseln. Die
hatte sich inzwischen zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Es hatte den
Anschein, dass sie den Anstrengungen der beiden letzten Tage Tribut zollte und
sich eine kurze Auszeit genommen hatte.
Auch gut, dachte Palinski leicht verstimmt und
wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Somit konnte er sich wenigstens mehr auf
das Geschehen im Fernsehstudio konzentrieren.
Die grundlegenden Statements, mit welchen die einzelnen
Teilnehmer ihre ohnehin längst bekannten Standpunkte darlegten, waren gerade
vorüber und Frau Drishofen gerade dabei, einige Plattheiten Lesonics ins
Bewusstsein der Zuseher zu verpflanzen, als plötzlich Unruhe im hinteren Teil
des Studios entstand.
»Halt, Sie können da nicht herein, das ist eine Livesendung«,
protestierte ein Mann der Securitytruppe des Senders, hatte jedoch nicht den Mut,
gegen Inspektor Heidenreich und die beiden uniformierten Beamten in seiner
Begleitung handgreiflich aufzutreten.
Helge Buchreiter dagegen fühlte die Zeit für zivilen
Ungehorsam und die Chance gekommen, sich endlich einmal im Fernsehen zu
profilieren, und beschloss, sich der Staatsgewalt zu widersetzen.
Unerschrocken trat er Heidenreich entgegen, der ihn mit
seiner Dienstmarke zu beeindrucken versuchte. »Meine Herren, das ist
Hausfriedensbruch und demzufolge unzulässig«, herrschte er den Inspektor
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