Diamantenschmaus
Glück gab es Mamma Maria, sodass diesen kulinarischen
Perversionen zumindest keinerlei praktische Bedeutung zukam. Aber die damit zum
Ausdruck gebrachte Gedankenlosigkeit, um nicht zu sagen Lieblosigkeit, war
schwer zu ertragen. Irgendetwas lief derzeit schief im privaten Bereich und
Palinski litt darunter. Im Augenblick noch schweigend.
»Wolln S’ ein weiteres Stückerl Kuchen, junger Mann?«, wollte
Frau Wurminzer wissen, die mit Wohlgefallen beobachtet hatte, mit welcher, ja,
man konnte es fast als Wollust bezeichnen, mit welcher Wollust also ihr
Besucher die ersten drei Portionen Marmorgugelhupf verdrückt hatte.
Die Versuchung war groß, doch Palinski winkte ab. »Nein
danke, gnädige Frau …«, er klopfte sich vielsagend auf seine tatsächlich
nicht mehr zu übersehende Wampe. »Obwohl, Ihr Gugelhupf ist wirklich einsame
Klasse«, gurrte er mit hörbarem Wohlbehagen. »Darf ich Ihnen nun einige Fragen
stellen?«
Die alte Dame reagierte zunächst nicht auf Palinskis Frage,
sondern wickelte die Hälfte der noch vorhandenen drei Viertel der edlen
Mehlspeise in eine Serviette und schob sie dem Gast hin. »Da, zum Mitnehmen für
Ihre Gattin. Sie grüßt mich immer so lieb, wenn wir uns sehn.« Dabei zwinkerte
sie vielsagend mit dem linken Auge. So, als wollte sie zum Ausdruck bringen,
dass es für sie durchaus in Ordnung wäre, wenn er selbst auch noch einmal
zuschlug.
»Danke, das kann ich eigentlich nicht annehmen«, heuchelte
Palinski ungeniert, während er das kleine Paket zu sich herholte. »Aber meiner
Frau … also Wilma kann ich das
nicht vorenthalten. So was von köstlich.«
»Na, jetzt übertreiben S’ nicht, junger Mann!« Auch Hermine
Wurminzer merkte, wenn jemand zu dick auftrug. »Ich freu mich, wenn’s Ihnen
gschmeckt hat.«
Satt und relativ zufrieden, wie Palinski war, stand ihm der
Sinn eigentlich gar nicht danach, die liebe alte Frau inquisitorisch zu
belästigen. Andererseits hatte er es Heidenreich versprochen und was man
versprach, musste man halten. Allerdings hatte er sich nicht festgelegt, was
die Intensität dieser Befragung betraf. Deshalb würde er es so kurz und
schmerzlos machen wie nur möglich.
»Können Sie mir bitte erzählen, was Sie eigentlich in die
Waschküche geführt hat?«, begann er. »Wollten Sie nicht ursprünglich mit Ihrem
Hunderl zum Äußerln [4] hinuntergehen? Stattdessen sind Sie zwei Stockwerke nach oben geklettert.«
»Komisch, gell«, räumte Frau Wurminzer ein, »ich wollte ja
gar nicht hinauf. Aber der Drafi hat zogen wie ein Wilder. Der muss gerochen
haben, dass da was nicht in Ordnung war. Ich hab gar keine Chance gehabt, außer
ihm nachzugehen. Braves Viecherl«, sie kraulte das mühsam aufrecht neben ihr
hockende Tier, einen bemitleidenswert dicken Dackel, liebevoll hinter den
Ohren.
Nein, sie hatte in der Waschküche nichts angerührt, sondern
sofort um Hilfe gerufen. »Der Herr Mayerbeer aus dem dritten Stock war gleich
da und hat mich ein bisserl beruhigt.«
Frau Wurminzer hatte Lesonic natürlich schon
jahrelang gekannt. »Wir sind 1973 einzogen, nein, stimmt net, 1974, im Mai«,
erklärte sie, »und der Karl, also der Tote, ist, glaub ich, anfangs der
80er-Jahre herkommen. Am Anfang sind er und mein Fritzi die besten Freunde
gwesn. Was die zwei zusammenqualmt haben, ist auf keine Kuhhaut gangen.« Sie
lachte nervös. »1987 ist der Fritzi gestorben, es war schrecklich. Ein
Lungenödem, weil er …«, sie ließ
den Satz unvollendet und kämpfte gegen die Tränen an.
Sie hatte bis dahin selbst geraucht, nicht viel
und nur gelegentlich. »Damals hab ich von heut auf morgen mit der
Scheißraucherei aufgehört. Und gut ist es gewesen.«
Stattdessen und wohl auch, um die Leere an ihrer
Seite zu beseitigen, hatte sich Frau Wurminzer gleichzeitig ihren ersten Hund
zugelegt.
»Einen kleinen Schäfermischling, den Pluto, das war
ein ganz ein Lieber. Ich kann mich noch erinnern …«
Wenn das in dem Tempo weiterging, würde Palinski
noch morgen früh hier sitzen und sich Anekdoten über Haustiere anhorchen. Er
musste sich dringend etwas einfallen lassen, um die ganze Chose ein wenig zu
beschleunigen.
Ein zunächst beiläufiger, dann auf besorgt
umschlagender Blick auf seine Armbanduhr leitete Palinskis Ablenkungsmanöver
ein.
»Mein Gott, wie die Zeit vergeht«, gab er vor und »ich muss
nur schnell einen Anruf machen. Sie entschuldigen mich kurz, gnädige Frau.«
Rasch holte er sich Wilmas Handynummer aufs Display und
stellte die
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